Als Youris Familie schwärmte: Jetzt bist du bei einem großen Verein!

„60 Jahre Bundesliga“ war das Thema bei der beliebten Veranstaltungsreihe „Ein Abend unter Schalkern“, der am Dienstagabend (5.9.) im Medienzentrum der Arena einmal mehr bestens besucht war. Die Eurofighter Youri Mulder und Mike Büskens, Eigengewächs Mathias Schipper, Zeugwart Enrico Heil, Schalkes ehemaliger Pressesprecher Gerd Voß, sowie Ulrich Homann, Geschäftsführer des Klartext-Verlags und Gründer der Sportzeitschrift RevierSport, sorgten mit ihren vielen Anekdoten aus sechs Jahrzehnten für einen schönen Abend, der über fast drei Stunden ging.

So erinnerte sich Youri Mulder, dass ihm sein Berater Sjaak Swart – aus Gründen der Geheimhaltung – 1993 lange nicht den Namen des Bundesligisten nennen wollte, der an ihm Interesse bekundete. „Ich gehe aber nicht zu jedem Club“, warnte ihn der Blondschopf, der gerade erst ein Jahr mit einem Kreuzbandriss ausgefallen war. „Zu Wattenscheid gehe ich nicht!“ Es wurde dann Schalke 04, weil Mulder bei den ersten Gesprächen mit den S04-Verantwortlichen zum Glück ein Video mit seinen Toren aus besseren Tagen dabeihatte. „Die kannten mich als Spieler eigentlich gar nicht.“

Die Erkenntnis, dass er sich den richtigen Verein ausgesucht hatte, bestätigte sich bei seinem Bundesligadebüt – ausgerechnet bei Wattenscheid 09, die aber ins Bochumer Ruhrstadion umgezogen waren. „Wegen der vielen Schalker. Meine Familie kam zu dem Spiel und war total beeindruckt vom Zuspruch und der Zuneigung der Fans. Sie sagten nach dem Abpfiff: ‚Youri, jetzt bist du bei einem großen Verein!‘“

Der Fußballgott kam an diesem Nachmittag indes auch ins Ruhrstadion. Wattenscheid siegte nämlich 3:0. Mulder, schonungslos mit sich selbst, lacht: „Da hat er mich schön für meine Großmäuligkeit gegenüber Wattenscheid bestraft.“ Mulders Einsicht wurde eine Woche später belohnt: Da spielt der Mittelstürmer erstmals im Parkstadion – und schießt das 1:0-Siegtor im Derby gegen den BVB.

Mike Büskens ist zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr da. Er wollte wegen seines ehemaligen Trainers Alex Ristic und trotz einer Offerte von Bayern München kommen. Doch als der Blondschopf unterschreibt, ist sein Mentor bereits entlassen. „In der Düsseldorfer Kabine fragte mich unser Torwart Jörg Schmadtke: ‚Buyo, du kannst zu den Bayern gehen, willst zu Alex – und der ist gar nicht mehr da. Trotzdem unterschreibst du bei Schalke: Wie blöd bist du eigentlich?“

Der Tonfall macht klar, dass Büskens und Mulder ihre Entscheidungen für Königsblau nie bereut haben. Nicht zuletzt, weil Manager Rudi Assauer einen Teamgeist förderte und forderte, mit dem sie Berge versetzen würden. Diesen beschreibt Gerd Voß, bis dahin Journalist, den Assauer als Pressesprecher holt. „Der Manager war immer dabei, nah an der Mannschaft, kümmerte sich um alles, spielte in jedem Abschlusstraining mit.“ Voß, gebürtiger Gelsenkirchener, der seinen Job auf Schalke 12,5 Jahre ausübte, inzwischen seit vielen Jahren Führungskraft in der Sportkommunikation von Volkswagen: „Damals hat man gesehen, was ein Club erreichen kann, wenn die Mannschaft, die sportliche Führung, die Geschäftsstelle, der ganze Club zusammenhalten.“ Und wenn die Achtung vor allen Mitarbeitern da ist. Als später die teureren Transfers zum Club kommen und eigene Ideen zum Verhalten in Sachen Medien entwickeln, macht Assauer die Bedeutung eines Pressesprechers deutlich. Der Manager deutet auf Voß und sagt den Spielern: „Wenn er euch was sagt, ist es so, als wenn ich euch was sage.“

Es war auffällig, wie aufmerksam Mulder und Büskens zugehört hatten, als Uli Homann über diesen Zusammenhalt in den Anfangszeiten berichtete. Homann, aufgewachsen in Essen-Stoppenberg, war als Achtjähriger mit seinem Vater im Stadion, als Schalke 04 1963 das erste Bundesligaspiel gegen den VfB Stuttgart bestritt. „Es war tatsächlich auch mein erstes Spiel. Spielszenen habe ich nicht mehr vor Augen, aber sonst alles an diesem Tag.“ Von der Fahrt mit einem Sonderbus, „der noch in der Weimarer Republik gebaut worden sein muss“, dem geduldigen Anstehen nach Karten; den Männern, die teilweise direkt von der Arbeit zum Spiel kamen. Anstoß ist um 17 Uhr. Erst um 23 Uhr liegt Uli nach dem 2:0-Sieg wieder zu Hause im Bett. Aber zur Bundesliga geht er immer. Oft wird er in den folgenden Jahren sein Geld für den ÖPNV und die Karte schon an den vielen Buden los, an denen es Sammelbilder gibt. Aber er findet immer vertrauenswürdige Schalker, die den Jungen in die Glückauf-Kampfbahn schleusen.

Dort sieht er oft Abstiegskampf: 1965, als die Mannschaft eigentlich sportlich abgestiegen ist und nur drinbleiben darf, weil die Bundesliga aufgestockt wird. Schalke 04 hat nur keine erstligataugliche Mannschaft mehr. Oder 1973, nur ein Jahr nach Pokalsieg und Vizemeisterschaft, als immer mehr Spieler wegen des Skandals gesperrt werden – und Schalke keine zehn Spiele vor Schluss auf einem Abstiegsplatz rangiert. Wo soll da die Rettung herkommen? Sie gelingt, weil alle zusammenhalten, zusammen bangen und irgendwie die nötigen Siege holen. Genau diese Siege schaffen ein neues Schalker Selbstvertrauen. Youri Mulder und Mike Büskens hören mit leuchtenden Augen zu.

Auch Mathias Schipper, der es Mitte der Siebziger Jahre aus dem eigenen Nachwuchs, dem Talentschuppen, in die Bundesliga schafft. „Mattes“ erinnert sich, wie die Youngster in der Profikabine aufmerksam Mäuschen spielten, wenn der damalige Trainer Max Merkel sich die etablierten Spieler Woche für Woche zum Einzelgespräch bestellt. „Da hörte man durch die Wände jedes Wort … Wir Jungen aber freuten uns. Es vergrößerte unsere Chance, spielen zu dürfen.“

Noch lieber erinnerte sich Schipper an einen anderen Trainer: Ivica Horvat. „Er nahm mich zur Seite und sagte: ‚Jungs, ab jetzt machst du jedes Spiel. Bist du krank, gehst du zu Mannschaftsarzt. Bist du mal nicht gut, machst du dir keine Gedanken – ich rede mit Presse.“ Eine Unterstützung, die sich Schipper für jede Schalker Nachwuchshoffnung erwünscht.

Aber nicht nur aus Stoppenberg, Gelsenkirchen, Düsseldorf oder Amsterdam führt der Weg in die Bundesliga und nach Schalke. Enrico Heil hat ihn aus dem fernen Süden geschafft. „Ich war glühender Anhänger von Schalker und bei jedem Spiel im Karlsruher Raum da.“ Das bedeutete: schon am Tag vor dem Spiel am Mannschaftshotel, an dem sich Enrico nicht nur zahllose Fotos und Artikel (!) unterschreiben ließ. Immer wieder ließ Enrico fallen, dass es für ihn das größte wäre, für Schalke 04 zu arbeiten – egal, welcher Job. „Wir suchen einen zweiten Zeugwart. Bewirb dich doch mal“, riet ihm Physiotherapeut Gerard Kuipers.

Heil tat wie ihm geheißen – und saß ein paar Wochen später mit Assauer und Finanzvorstand Josef Schnusenberg zusammen. „Jupp“, paffte der Manager seinen Vorstandskollegen an. „Das ist der Enrico, der ist ab dem 1.7. zweiter Zeugwart bei uns.“ In diesem Jahr feierte Heil sein 25-jähriges Dienstjubiläum.

Seite teilen