Ben Manga: Scouting bedeutet Kleinigkeiten zu entdecken

Das Patent fürs Prädikat „Diamantenauge“ besaß auf Schalke zeitlebens Präsident Günter Siebert. Auch über Ben Manga ist diese Beschreibung oft im Umlauf, dazu Perlentaucher, Phantom, oder wie wäre es mit: Allesfahrer. Der neue Direktor für Kaderplanung, Scouting und Knappenschmiede hat seine Schwierigkeiten mit solchen Schlagwörtern, wenngleich er das Beste daraus macht.

Ben Manga

Über der VELTINS-Arena strahlt die Nachmittagssonne. Im Bauch des Stadions erkundet Manga sein neues sportliches Zuhause. Entgegen mancher Phantomsichtungen – hier stimmt der Begriff – war er zuvor nur einmal da, beim Heimspiel gegen St. Pauli. Jetzt wirft er einen Blick auf das halb hineingefahrene Spielfeld und lässt sich tiefer führen hinter den königsblauen Vorhang. Unterwegs in Chelsea Boots, ist der 50-Jährige auch sonst eher Leisetreter denn Lautsprecher. Sobald die Rede aber aufs Kerngeschäft kommt, gerät er geradezu ins Schwärmen, gestikuliert, haut einem zwischendurch auf den Arm, um Szenen lebendig werden zu lassen.

Rodrigo Zalazar entdeckt

Eine davon hat sich vor zwei Jahren an Ort und Stelle abgespielt. Im Fußball sind ja ungezählte Storys von Legenden umrankt, doch was wäre wohl gewesen, wenn Rodrigo Zalazar den S04 vor zwei Jahren mit seinem 3:2 gegen den FC St. Pauli nicht ins Glück und zurück in die Bundesliga geschossen hätte? Müßig. Fakt ist, dass der Uruguayer überhaupt in Deutschland gelandet ist, weil ein gewisser Scout Jahre zuvor das Flugticket zur U20-Südamerikameisterschaft in Chile gebucht hat. Unten auf dem Rasen quirlt sich das Talent in den Fokus von Ben Manga und Eintracht Frankfurt. Der Rest ist Geschichte.

1974 in Äquatorialguinea geboren und in Neuss aufgewachsen, ist Bienvenido „Ben“ Manga-Ubengas eigene Profikarriere vorbei, ehe sie richtig in Fahrt kommen kann. Drei Bundesliga-Partien mit Fortuna Düsseldorf Mitte der Neunzigerjahre folgen drei Kniescheibenbrüche. Von Haus aus Linksverteidiger, aber auch offensiv variabel, ist er mit 21 Jahren auf dem Höhepunkt, Mann des Spiels beim Pokal-Rausschmiss von Bayern München mit Kahn und Klinsmann. Eine Runde später macht er unliebsame Bekanntschaft mit dem Chemnitzer FC und Jens Melzig, Typ Kante: „Er hat mich voll erwischt, Innenmeniskus und Außenmeniskus“, erinnert sich Manga: „Damit hat der ganze Ärger begonnen.“ Später die Brüche, am Ende sagt der Arzt: „Herr Manga, das wird nix mehr.“

Ben Manga

So was will erst mal verdaut sein, Perspektiven verschieben sich: „Als junger Spieler fühlst du dich wie der König, die Kohle kommt – und auf einen Schlag kannst du nicht mehr. Das macht was mit dir.“ Das Telefon bleibt still, keine Schulterklopfer mehr auf der Straße. Der spätere Scout und Jugendtrainer Ben Manga wird das nie vergessen. Deshalb ist ihm wichtig, dem Nachwuchs einzutrichtern: „Du hast Talent, mein Freund, aber du musst jeden Tag arbeiten und glücklich sein, dass du gesund bist. Und vergiss nie, wo du herkommst!“ Auf beruflichen Reisen nach Kolumbien hat er Plätze gesehen, die würde in Deutschland keine Kuh betreten, sagt er: „Dort spielen die Jungs teilweise barfuß. Und bei uns beschweren sich manche, wenn der Rasen nicht richtig gemäht ist oder die Dusche kalt bleibt. In Südamerika hatten sie gar keine Dusche, aber Spaß und Gier auf dem Feld. So was zu erleben und zu Hause weiterzugeben, ist sehr wertvoll.“

Als junger Spieler fühlst du dich wie der König, die Kohle kommt – und auf einen Schlag kannst du nicht mehr. Das macht was mit dir.

Ben Manga

Nach Finalisierung seiner Fußballerkarriere Anfang der 2000er startet Manga den zweiten Bildungsweg, wird Jugendtrainer und Scout bei Alemannia Aachen, findet einen Förderer in Sportchef Jörg Schmadtke. Über die TSG Hoffenheim kommt er zum VfB Stuttgart, trifft auf Fredi Bobic und wird sich mit ihm 2016 in Frankfurt an eine Mission impossible wagen: aus fast nichts viel machen.

Als Kaderplaner: Manga bringt Frankfurt wieder auf Kurs

Die Eintracht befindet sich da fast manövrierunfähig auf hoher See. Den Untergang in die Zweitklassigkeit haben die Hessen in der Relegation gegen den 1. FC Nürnberg knapp vermeiden können, das Boot aber ist leckgeschlagen. Für die Branche eher überschaubare 2,2 Millionen Euro stehen als Transfermittel zur Verfügung, was Manga kaum glauben kann. Er legt Bobic eine Liste mit guten Kandidaten vor, pro Spieler jeweils ein, zwei Millionen als Budget; wie verabredet, denkt er. „Als der Fredi das las, meinte er: ,Die 2,2 Millionen galten für alle zusammen.‘“ Manga muss lachen bei der Rückschau: „Ich dachte, er will mich verarschen. Wir redeten doch über die Bundesliga. Das war frei nach dem Motto: Zauber mal was …“

Ben Manga

Und Manga zaubert. Als Chefscout baut er ein internationales Team auf, darunter Raffael Tonello, inzwischen sportlicher Leiter NLZ beim S04. Der finanziellen Not geschuldet holt die Eintracht das Optimum heraus und manchmal sogar mehr als erwartet. Zahlreiche Zugänge machen sich bald einen Namen. Die medial „Büffelherde“ getauften Angriffsschrecks Ante Rebic, Sébastien Haller und Luka Jovic zertrampeln die Abwehrreihen und werden bei ihren Abschieden insgesamt rund 85 Millionen Euro mehr einbringen als sie gekostet haben. Randal Kolo Muani überzeugt Manga bei Besuchen in Nantes. Der Stürmer unterschreibt ablösefrei und wechselt später für 95 Millionen Euro zu Paris Saint-Germain. Frankfurts Kaderwert vervielfacht sich innerhalb weniger Jahre, das Team gewinnt den DFB-Pokal, die Europa League, zieht in die Königsklasse ein.

Potenziale erkennen, bevor die Konkurrenz es macht

Schneller sein als andere, lautet ein Dogma des neuen Schalkers, Nischen ausleuchten, Potenziale erkennen, bevor die Konkurrenz es macht, erforschen, welche bekannten Spieler gerade unter dem Radar fliegen, aber woanders funktionieren könnten. Die Tage, an denen er monatlich daheim in Düsseldorf ist, werden rar sein. Im Groben teilt sich das Sichtungsgeschäft in zwei Philosophien: Datenanalyse und Präsenz vor Ort. Beides fließt ins Scouting ein, über die Gewichtung indes können Gelehrte nächtelang diskutieren. Manga will den Rasen riechen, Spieler live erleben, das Drumherum, in dem sich manchmal Talente verbergen, die noch niemand auf dem Schirm hat. Daten kann man dann immer noch zu Rate ziehen, um das Bild zu vollenden. Im Fall der Sportskameraden Rebic und Jovic seien die Zahlen übrigens gar nicht so vielversprechend gewesen, erinnert sich Manga. Tja …

Ohne Netzwerk: keine Chance.

Ben Manga

Scouting ist auch ein Duell Kopf vs. Bauch, weiß der Scout. Er wird nicht müde, sein „herausragendes Team“ hervorzuheben: „Sonst wäre das nicht zu bewältigen. Ohne Netzwerk: keine Chance.“ Und doch möchte er „98 Prozent“ der Spieler selbst gesehen haben, ehe eine Entscheidung naht: „Da bin ich auch etwas eigen. Obwohl die Scouts super sind, bleibt manchmal ein kleines Gefühl, dass du noch mal hinschauen solltest.“ In den Stadien dieser Welt ist er ohne Tarnkappe unterwegs, wenn ihn jemand erkennt, dann ist das eben so. Dafür sitzt er gerne abseits, um in Ruhe zu arbeiten: „Wenn du von links und rechts bequatscht wirst, achtest du nicht mehr auf Kleinigkeiten. Und Scouting bedeutet Kleinigkeiten zu entdecken.“

Mitunter fallen Kandidaten dann durch, denn diese Kleinigkeiten können in Summe zu Großbaustellen geraten: „Mentalität schlägt Talent“, betont Manga. Wenn er beobachtet, dass jemand nach Ballverlust nicht mit zurückläuft, kriegt er die Krise: „Du könntest das ja in seinen Kopf hineintrommeln – aber will der Spieler das überhaupt?“, fragt er sich. „Wenn sich einer für was Besseres hält, hole ich ihn nicht, selbst wenn er gut ist. Letztlich reden wir über Mannschaftssport.“ Genau deswegen will er selbst noch ein Auge werfen, um hundertprozentig sagen zu können: „Das machen wir.“

Kein Fan der Sozialen Medien

Dass bei zahlreichen Transferbewegungen nicht jeder Schuss sitzen kann, hat der 50-Jährige längst gelernt, auch aus Niederlagen zieht er seine Schlüsse. An dieser Stelle kommen sie wieder ins Spiel, der Perlentaucher und das Diamantenauge. Er ist kein Fan der Sozialen Medien, Internetstorys über ihn interessieren Manga nicht. Die Begriffe kennt er „leider“ trotzdem. Er will sie aber als Auszeichnung werten, denn irgendwas kann ja dann nicht so schlecht gelaufen sein: „Mal gewinnst du, mal verlierst du. Zum Glück habe ich bislang öfter gewonnen“, erklärt er und lacht.

Ihm ist natürlich Schalke 04 schon lange ein Begriff: „Der Verein zündet, die Arena, das alte Parkstadion, das hat eine Wucht. Egal, wo du im Urlaub hinfliegst, es ist jemand im S04-Trikot dort. Hier wird Fußball gelebt, und ich freue mich extrem, jetzt ein Teil davon zu sein.“ Nach seinem Aus beim englischen FC Watford hat er sich auch mit anderen Offerten beschäftigt: „Entscheidend war die Art und Weise, wie extrem Matthias Tillmann, Marc Wilmots und Axel Hefer sich um mich bemüht haben“, betont Manga. Während vieler Gespräche merkt er: „Schalke ist die richtige Wahl.“ Ehrlichen Fußball wünscht er sich dafür, die Mentalität, jedes Duell mit einhundert Prozent anzugehen, oder wie er es nennt: „Feuer, Feuer und noch mal Feuer.“

Ben Manga

Die Spiele der Königsblauen hat er seit dem ersten Austausch intensiv verfolgt. Sein erstes Ziel heißt, für die nächste Saison einen besseren Kader zusammenzustellen. Mit Sportdirektor Marc Wilmots wird er eng zusammenarbeiten, im Team entscheiden, und er freut sich, mit seinem ehemaligen Mitspieler wie Mitarbeiter Raffael Tonello einen weiteren Fachmann an Bord zu wissen: „Er ist ein absoluter Gewinn für diesen Verein und wird ihn auf eine ganz andere Ebene bringen. Die Knappenschmiede ist sehr, sehr wichtig. Wir werden dafür sorgen, dass wieder mehr Spieler nach oben kommen.“

Die aktuelle Ausgangslage erinnert ihn an Eintracht Frankfurt damals, sagt Ben Manga. Er ist fest davon überzeugt, dass ähnliche Arbeit auch auf Schalke möglich ist. Ein paar gute Jungs stehen bereits auf dem Zettel, verrät er noch schmunzelnd, ehe er sich beim Rundgang die Mannschaftskabine zeigen lassen will. Anderswo in der Arena beginnen derweil erste Arbeiten für die anstehenden Konzerte der Rock-Legende AC/DC. „Power Up“ heißt das Motto der Tour. Das lassen wir jetzt mal so stehen.

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