Horst Heldt: Gemeinsam wieder angreifen

Horst Heldt, Vorstand Sport und Kommunikation, sprach bei der Mitgliederversammlung über die misslungene vergangene Saison, folgende Konsequenzen und neue Strukturen. schalke04.de hat die wichtigsten Aussagen notiert.

Horst Heldt über …

… die abgelaufene Saison 2014/2015:

Viermal habe ich in den vergangenen Jahren hier vor euch gestanden und aus meiner Sicht geschildert, wie die abgelaufene Saison gelaufen ist und was wir in der neuen Saison vorhaben. Viermal war es positiv: Wir sind Pokalsieger geworden, wir haben uns für die Champions League qualifiziert, wir waren sogar im Halbfinale der Königsklasse. Viermal konnte ich sagen: Es war aus sportlicher Sicht eine gute Saison. Heute ist das anders. Wir haben, bis auf unser Abschneiden in der Champions League, unsere Ziele nicht erreicht. Da gibt es nichts zu beschönigen. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Das war eine beschissene Saison.

Was mich dabei am meisten schmerzt, ist nicht so sehr die Platzierung. Sondern es ist die Art und Weise, wie wir Fußball gespielt haben.

… Verantwortung:

Als Vorstand Sport trage ich dafür die Verantwortung. Und ich stelle mich dieser Verantwortung. Denjenigen, die hoffen, dass ich aufgebe, sage ich aber: Das ist nicht meine Auffassung von Verantwortung. Es gibt mehr Leute, die scheitern, weil sie aufgeben, als solche, die scheitern, wenn sie sich der Verantwortung wahrhaftig stellen. Verantwortung bedeutet: stehen, nicht fortlaufen. Verantwortung bedeutet: kämpfen, nicht aufgeben. Und genau so werde ich meine Verantwortung wahrnehmen.

… Fehlentscheidungen und Konsequenzen:

Obwohl wir uns im Vorfeld intensiv mit jedem potenziellen Spieler befassen, sie intensiv beobachten, Erkundigungen einholen und mehrere Gespräche mit ihnen führen, bin ich mit der Verpflichtung von einzelnen Spielern danebengelegen. Der schlimmste Fehler in meinem Job ist allerdings, keine Entscheidungen zu fällen und ständig nur Angst zu haben, dass man einen Fehler macht. Klar: Wer keine Entscheidungen fällt, macht auch keine Fehler. Nur: So kann man keine Bundesliga-Mannschaft bauen. Jeder Transfer ist eine komplexe Angelegenheit: Man muss verschiedene Faktoren bedenken und dann über das Gesamtpaket entscheiden: Alter, Gehalt, Marktwert, mögliche finanzielle und spielerische Entwicklungspotenziale, Verletzungsanfälligkeit, soziales Verhalten, Charakter, Ablöse – und nicht zu vergessen: die eigenen finanziellen Möglichkeiten. Das alles muss letztendlich passen. Aus heutiger Sicht ist uns das nicht immer gelungen.

Klar ist aber auch: Wir sind nicht abgestiegen, sondern wir sind Sechster geworden und spielen auch nächstes Jahr europäisch. Wir haben unsere Ziele verfehlt, aber wir stellen für die nächste Saison eine gute Mannschaft. Wir investieren in das Team, in das Berger Feld und in die Zukunft unserer Knappenschmiede. Trotz des Rückschlags in der letzten Saison geht es überall voran im Verein. Und so ein Krisenjahr kann auch ein reinigendes Gewitter sein. Ich bin überzeugt: der S04 ist gut aufgestellt – und wir greifen wieder an! Damit meine ich die Art und Weise, wie wir und das Trainerteam Fußball spielen wollen: mutig. Mit Herz. Selbstbewusst. Leidenschaftlich. Als Mannschaft und als Einheit.

… die Wohlfühloase:

Ich kann dieses Wort nicht mehr hören. Jeder Mensch hat Vorstellungen davon, wie er mit anderen Menschen umgeht, wie er andere Menschen führt. Es gibt viele Varianten: der Nette, der Kumpel, der Zuhörer, aber auch der Laute, der Aggressive oder der Schweinehund, wenn es mal sein muss. Jeder hat seinen persönlichen Stil, dem er treu bleiben muss, weil er sonst nicht mehr er selbst ist. Ich auch. Ich versuche immer, respektvoll mit Menschen umzugehen, ich achte ihre Würde. Ich bin der Ansicht, dass man Menschen bewusst führen muss. Ich bin überzeugt, dass Menschen ihr volles Potenzial nur dann ausschöpfen können, wenn man Ihnen Vertrauen schenkt und Verantwortung übergibt. Ich will mündige Spieler auf dem Platz, da kann ich sie nicht außerhalb des Platzes wie kleine Kinder behandeln. Wenn du junge Menschen davor bewahrst Fehler zu machen, bewahrst du sie auch davor eigene Entscheidungen zu fällen und zu Persönlichkeiten zu reifen.

Diese vertrauensorientierte Führung hat über drei Jahre gut funktioniert. Es ist ein schmaler Grat zwischen Vertrauen und Freiraum auf der einen Seite sowie Kontrolle und Disziplin auf der anderen Seite. Beides ist notwendig und es muss für die jeweilige Situation und auf die jeweilige Personengruppe passen. Im Rückblick muss ich sagen, dass ich dieses Jahr die Balance zwischen den beiden Polen nicht geschafft habe. Das ärgert mich und wird mir so auch nicht mehr passieren.

… den neuen Chef-Trainer Andre Breitenreiter:

Bei der Fehleranalyse muss auch die Trainerfrage besprochen werden. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass Roberto Di Matteo ein guter Trainer ist – aber auf Schalke hat es einfach nicht funktioniert. Deshalb gab es nur eine Lösung: Wir brauchten einen neuen Trainer. Unabhängig davon, was wer über diese knapp 14 Tage der Trainersuche geschrieben hat und welche Wertung damit verbunden war: Wir hatten im Vorstand einen klaren Plan und haben diesen auch sauber und konsequent durchgezogen. Am Ende haben sich zwei Favoriten herauskristallisiert, die uns beeindruckt haben. Und einen von den Beiden haben wir verpflichtet. Und ich freue mich auf unseren neuen Chef-Trainer: Andre Breitenreiter.

Andre hat einen klaren Plan, eine klare Philosophie vom Fußball auf Schalke: Er achtet konsequent darauf, dass die Mannschaft im Vordergrund steht und nicht der Einzelne. Das Team als Ganzes, als Einheit ist ihm das Wichtigste. Und diesen Grundgedankensetzen seine Spieler mit Herz, Einsatz und Kampfbereitschaft um. Alles andere folgt daraus.

… die Kaderplanung 2015/2016:

Für eine große Zukunft brauchen wir aber, neben einem top Trainer, auch den richtigen Kader. Unsere Mannschaft braucht dringend eine Blutauffrischung. Genau das tun wir in diesem Moment. Viele Spieler haben den Verein bereits verlassen. Christian Wetklo hingegen übernimmt eine andere Rolle im Verein, er wird Torwarttrainer der U23. Ich bin sehr froh, dass wir Christian weiter an den Verein binden konnten. Ich habe selten einen Spieler erlebt, der so ein verrückter Herzblutschalker ist wie Christian. Er lebt Schalke!

Kyriakos Papadopoulos geht endgültig nach Leverkusen. Ich wünsche ihm viel Glück für die weitere Zukunft. Außerdem werden Kevin-Prince Boateng und Sidney Sam nicht mehr für den Verein spielen, sie bleiben suspendiert.

Als Neuverpflichtungen stehen bis jetzt fest: Junior Caicara für rechts hinten und Johannes Geis für das Mittelfeld. Ich bin sicher, dass sie unsere Mannschaft in der neuen Saison stärker machen werden.

Wer kommt noch fest in den Profikader? Maurice Multhaup – aus der Knappenschmiede. Thilo Kehrer – aus der Knappenschmiede. Felix Platte – aus der Knappenschmiede. Marvin Friedrich – aus der Knappenschmiede. Leroy Sane – aus der Knappenschmiede. Damit dürfte ein Trend klar sein. Ein Trend, den wir immer schon gepflegt haben, den wir aber dieses Jahr noch verstärken werden. Wir setzen auf die tollen Talente. Was personelle Veränderungen in der Profi-Mannschaft angeht, ist das der Stand der Dinge heute. Natürlich wird sich da noch etwas tun – und zwar in beide Richtungen.

… die Knappenschmiede:

Es zahlt sich aus, dass wir uns im Sommer 2011 dazu entschlossen haben, den eigenen Nachwuchs zu stärken. Wir haben mehr Geld investiert, wir haben die Zahl der Jugendtrainer deutlich erhöht. Wir haben auch den Anspruch an unsere Jugendtrainer erhöht: Sie alle müssen ausgebildete Lizenztrainer sein. Wir haben die Stelle eines Athletiktrainers für die Knappenschmiede geschaffen, wir haben das Scouting auf eine breitere Basis gestellt. Und wir werden den Austausch zwischen Jugend- und Profiabteilung weiter intensivieren. Dafür steht auch Andre Breitenreiter, Jugendarbeit ist Teil seiner Trainer-Philosophie.

Die Knappenschmiede ist eine feste Größe in Deutschland und ein Symbol für großartigen Fußball und top Talente. Darauf können wir sehr stolz sein. Dieser Erfolg wäre aber nicht möglich ohne die tolle Arbeit von Oliver Ruhnert und allen Trainern und Betreuern unserer Jugendmannschaften. Leute, Ihr macht Jahr für Jahr einen Hammer-Job. Vielen Dank!

Ein ganz besonderer Dank geht an dieser Stelle aber auch an Norbert Elgert und sein U19-Team. Sie haben dieses Jahr zum wiederholten Male die Deutschen Meisterschaft gewonnen.

… strukturelle Veränderungen:

Da in der vergangenen Saison die vorhin angesprochene Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle nicht gegeben war, bekommen alle Spieler künftig einen Verhaltenskodex. Gleichzeitig werden mit aller Konsequenz dafür sorgen, dass diese Regeln auch von allen Teammitgliedern eingehalten werden. Jeder einzelne Spieler muss aber auch Eigenverantwortung tragen. Pünktlich zum Training und zum Spiel zu erscheinen und das dann auch gewissenhaft und professionell durchzuführen, reicht heute nicht mehr. Bei Weitem nicht! Die Spieler müssen viel mehr Zeit als früher in ihren Körper investieren. Sie müssen länger und besser regenerieren, mehr präventiv arbeiten und ihren Körper mehr pflegen. Ihr Körper ist ihr Betriebskapital, und wir als Arbeitgeber verlangen, dass sie das so gut wie möglich einsetzen.

Auch innerhalb unserer Knappenschmiede werden wir weitere strukturelle Verbesserungen umsetzen. Hier werden wir eine Art rollierendes System einführen. Bisher war es so, dass ein Trainer für einen bestimmten Jahrgang verantwortlich war und die jungen Spieler dadurch jedes Jahr einen neuen Trainer hatten. Das wird jetzt anders. Von der U14 bis zur U17 werden die Jugendtrainer jetzt immer fix zwei Jahre mit einer Mannschaft arbeiten und nicht wie in der Vergangenheit immer nur ein Jahr. Der Vorteil: Trainer und Spieler sind jetzt länger zusammen und der Trainer kann im zweiten Jahr auf den Erkenntnissen aus dem ersten Jahr aufbauen und die Spieler noch individueller und intensiver entwickeln.

Ein Trainer wird allerdings nicht rollieren: Norbert Elgert betreut weiterhin beide Jahrgänge der U19. Die Gründe liegen auf der Hand. Es gibt einfach keinen Besseren als unseren Norbert. Das hat er mir in vielen persönlichen Gesprächen gesagt, dass er sich da am wohlsten fühlt.

… die Fans:

Ein Verein und insbesondere Schalke 04 ist nichts ohne seine Fans. Die Fans sind die Grundlage für Alles. Ohne euch hätten wir keine Zuschauer, keine Seele, keine Leidenschaft und keinen Zusammenhalt. Ihr seid Schalke 04! Wisst ihr noch, wie wir gemeinsam in die Saison gestartet sind? Fans und Mannschaft haben zusammen ein Motto erarbeitet, das den Fußball auf sein Kernelement reduziert und alles Wesentliche in einem Satz zusammenfasst: „Du gewinnst nie allein“. Und ihr habt das bis kurz vor Schluss auch vorgelebt, ihr habt das lange durchgehalten.

Ihr habt uns unterstützt bei Wind und Wetter in Madrid oder in Mainz. Zu Hause und Auswärts – bei guten Spielen, aber auch bei Grottenkicks wart ihr immer an unserer Seite. Das ist der Wahnsinn und dafür möchte ich mich von Herzen bedanken. Dass diese Verbindung nicht bis zum Schluss gehalten hat, lag nicht an euch. Es lag an uns. Und dass ihr dann irgendwann die Schnauze voll hattet: Ja, das kann ich absolut verstehen. Es stimmt schon: „Du gewinnst nie allein.“ Allerdings, liebe Schalker, hat sich auch gezeigt: „Getrennt gewinnst du schon gar nicht“

Zusammensein ist der Anfang, Zusammenhalt ist ALLES. Deshalb ist es mir für die neue Saison sehr wichtig, dass wir wieder zusammenwachsen. Dass ihr euch wieder auf die Spiele freut, dass ihr wieder stolz auf die Mannschaft seid, dass ihr wieder eins mit der Mannschaft seid. Denn das ist das A und O, der Kern, die Basis von allem: die Identifikation zwischen Mannschaft und euch, den Fans. Mir ist klar, dass das ein Prozess ist. Und dass wir liefern müssen. Und wir wollen und wir werden auch liefern!

Aber: Ich wünsche mir, dass ihr auch wieder liefert. Die Mannschaft braucht euch. Wir setzen auf viele junge Spieler; viele sind 18, 19 oder 20 Jahre alt. Die brauchen eure Unterstützung, eure Hilfe, euren Support. Die stecken Ablehnung, Wut oder gar Hass nicht so einfach weg. Das macht die fertig. Und darum fordere ich euch alle – ob Nordkurve, Südkurve, Gegentribüne oder Haupttribüne – auf: Unterstützt unsere Mannschaft, unterstützt eure Mannschaft! Jeder, der unten auf dem Rasen ein blau-weißes Trikot trägt, spielt für Schalke 04. Für uns alle.

Lasst uns gemeinsam wieder angreifen!

Was ich dazu beitragen kann, werde ich tun. Und zwar mit allem, was ich habe. Beim letzten Heimspiel habe ich ein Plakat gesehen, das ich so beantworten möchte: Ich werde alles tun, dass es besser wird. Ein Meter 69 Arbeit. Ein Meter 69 Leidenschaft. Ein Meter 69 Einsatz. Zusammengefasst: Ein Meter 69 Schalke 04!

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