Youri Mulder über eine falsche Rückennummer, einen Geburtstag in Oldenburg und eine Fahrt nach Kassel

Youri, du bist in deiner Profilaufbahn lediglich für zwei Clubs am Ball gewesen. Von 1990 bis 1993 für den FC Twente und anschließend bis 2002 für den FC Schalke 04. Daher kennst du beide Vereine sehr gut. Was macht die Verbundenheit zwischen den Knappen und den Tukkers so besonders?
Ganz klar, die Fans. Sie leben diese Freundschaft. Wenn der S04 in der VELTINS-Arena spielt, sind regelmäßig auch Anhänger des FC Twente zu Gast. In „De Grolsch Veste“, dem Stadion in Enschede, ist es ähnlich. Dort siehst du auf den Tribünen immer wieder Schalke-Fans. Mir hat vor einigen Monaten bei einem Spiel in der Eredivisie jemand gesagt, dass im Stadion des FC Twente teilweise mehr deutsch als niederländisch gesprochen wird (lacht). Ich finde es wunderbar, dass sich die Fans zweier Clubs, dazu noch aus unterschiedlichen Ländern, so gut verstehen.

Enschede hat sogar einen Schalke-Fanclub …
Blau und Weiss Enschede. Den gibt es seit Mitte der 1990er. Die Gründungsmitglieder sind aber schon viel länger Schalke-Fans. Ich kenne sie ganz gut. Das ist die Familie ten Vergert. Irgendwann haben sie beschlossen, dass sie einen Fanclub gründen möchten. Dieser hat dann rasend schnell Zuwachs bekommen. Heute zählt die Gruppe über 300 Mitglieder. Bei allen Spielen, egal ob heim oder auswärts, ob in Deutschland oder irgendwo in Europa: Blau und Weiss Enschede ist dabei.

Wie ist es bei dir? Schaust du dir auch regelmäßig die Spiele beider Clubs live im Stadion an?
Wenn es klappt, bin ich an den Wochenenden in der VELTINS-Arena und in „De Grolsch Veste“. In der vergangenen Saison hat das häufig zeitlich gepasst. Mit dem Auto bin ich ja in einer Stunde in Gelsenkirchen.

Du wohnst noch in Enschede. Erkennt man dein Auto am Schalke-Aufkleber neben dem Nummernschild?
Nein. Die niederländische Königin trägt doch auch kein Oranje (lacht).

Was sind die größten Gemeinsamkeiten zwischen beiden Clubs?
Wenn du dir die Zuschauerzahlen der Heimspiele anschaust, fällt eines direkt auf. Die VELTINS-Arena und „De Grolsch Veste“ sind nahezu immer ausverkauft. Die Fans stehen immer hinter ihrer Mannschaft, in guten und in schlechten Zeiten.

Wie ist es damals dazu gekommen, dass du aus Enschede nach Gelsenkirchen gewechselt bist?
Sjaak Swart, ein sehr großer Name im niederländischen Fußball, hat mich angerufen. Er hatte Anfang der 1990er Jahre damit begonnen, als Berater tätig zu sein (Swart war in seiner aktiven Laufbahn in den 1960er- und 1970-Jahren als Profi für Ajax Amsterdam am Ball und auch niederländischer Nationalspieler, Anm. der Redaktion). Sjaak sagte zu mir, dass ein Verein aus Deutschland an mir interessiert sei. Das klang spannend. Ich wollte wissen, um welchen Club es sich handelt. Und was sagte er? Das dürfe er mir nicht sagen. Stattdessen fragte er mich, ob ich überhaupt Interesse hätte.

Und dann?
Habe ich gesagt, dass ich schon wissen muss, welcher Verein mich verpflichten möchte. Ich wäre schließlich nicht zu jedem Club gewechselt, nur um in Deutschland zu spielen. Also ließ Sjaak die Katze aus dem Sack: Schalke 04! Ich war sofort Feuer und Flamme. Also habe ich gesagt, lass uns hinfahren, das hören wir uns an.

Wie ging es weiter?
Sjaak und ich sind dann nach Gelsenkirchen gefahren und haben uns mit der sportlichen Leitung getroffen: Manager Rudi Assauer und Chef-Trainer Helmut Schulte. Die Gesprächsführung musste ich weitestgehend übernehmen, da Sjaak kein Deutsch sprach. Schnell stellte sich dann heraus, dass er mich in seiner neuen Funktion als Berater empfohlen hatte und man mich auf Schalke gar nicht so genau kannte. Aber sie suchten einen Stürmer – und ich hatte in der Saison 1991/1992 in der niederländischen Eredivisie 18-mal getroffen. Das klang also auf den ersten Blick auf jeden Fall interessant für den S04. Auch wenn ich damals eigentlich eher Mittelfeldspieler gewesen bin (schmunzelt). Um meine Stärken noch einmal zu präsentieren, habe ich dem Manager und dem Trainer vor der Verabschiedung noch eine Videokassette in die Hand gedrückt. Mit meinen besten Szenen aus den vergangenen Jahren. Das Gespräch war sehr angenehm. Ich selbst hatte am Ende des Tages allerdings das Gefühl, dass Schalke nicht allzu großes Interesse an mir hat.

Aber das Video hat Rudi Assauer und Helmut Schulte dann überzeugt?
Auf dem Video waren viele schöne Spielzüge und Tore von mir dabei. Aber auch einige Treffer von Ronald de Boer (der spätere niederländische Nationalspieler war von 1991 bis 1993 von Ajax Amsterdam an den FC Twente verliehen, Anm. der Redaktion). Am nächsten Morgen um halb acht klingelte dann das Telefon. „Assauer! Youri, du bist einer für uns!“. Auf dem Video hatten sie vieles gesehen, was ihnen gefallen hatte. Die Qualität der Aufnahme war aber nicht die beste. Der Manager sprach dann in einem Satz davon, dass ich die Nummer 9 getragen hätte – aber das war Ronalds Nummer (lacht). Ich hatte meistens die 8 auf dem Rücken. Aber ich habe wirklich viele Tore geschossen, Ronald allerdings auch. Die Schalker dachten wohl, dass alle Tore auf dem Videoband von mir erzielt worden sind.

Aber das war nicht der Fall …
Sagen wir mal so: Die meisten waren wirklich meine Treffer, aber einige halt auch von Ronald (schmunzelt). Direkt verpflichtet hat mich der FC Schalke 04 übrigens nicht. Ich wurde zunächst zu einem Probetraining eingeladen. Denn ich war kurz zuvor verletzt gewesen. Man wollte schauen, ob ich wirklich wieder fit bin.

Wie lief das Probetraining ab?
Ich wollte mich erst nicht darauf einlassen, habe am Ende aber doch zugestimmt. Wir sind dann drei Tage nach Fehmarn gefahren. Dort habe ich mich dann ganz gut geschlagen. Und ich habe mich direkt in der Gruppe wohlgefühlt. Ich kann mich noch an einen der Abende erinnern. Der damalige Präsident des FC St. Pauli hatte die ganze Schalker Mannschaft inklusive Trainerstab zu sich nach Hause eingeladen. Er war ein Bekannter von Helmut Schulte, auch Rudi Assauer kannte ihn gut. Seine Frau hatte dann für 30 Personen gekocht, wir saßen Stunden lang zusammen und haben viel gelacht. Am Ende des Aufenthalts an der Ostsee hat Rudi Assauer mir dann die Hand gegeben und gesagt: Herzlich willkommen auf Schalke! Als dann alles klar war zwischen uns, wurde es nochmal richtig witzig!

Erzähl!
Wir waren auf dem Rückweg von der Ostsee. Ich saß bei Rudi Assauer im Auto und er meinte dann, dass ein Freund von ihm Geburtstag habe. Und da müsse er halt kurz vorbeischauen, um zu gratulieren. Für mich war das kein Problem – auch nicht, als der Manager sagte, dass wir einen Umweg fahren müssten. Die Feier war nämlich in der Nähe von Oldenburg.

Das klingt kurios.
Das war es auch. Vor allem „kurz vorbeischauen“ hieß am Ende etwa drei Stunden. Es gab was zu essen, ich habe ein Bierchen getrunken. Das kann sich heute niemand mehr vorstellen. Aber ich hatte keine Wahl (lacht). Am Ende war es ein sehr schöner Tag. Der übrigens ähnlich kurios endete. Auf dem Rückweg nach Gelsenkirchen hat sich Rudi Assauer verfahren – irgendwann waren wir kurz vor Kassel. Da hat der Manager dann mit mir geschimpft, weil ich doch aufpassen sollte, wo wir abbiegen müssen. Ich, der das deutsche Autobahnnetz nicht wirklich kannte (lacht erneut). Das sind wirklich schöne Erinnerungen. Ich denke, auf solch einen ersten Tag als Schalker können nicht viele Spieler zurückblicken. Ein Tag voller Anekdoten. Ich habe abends zu mir selbst gesagt: ‚Youri, das ist ein super Verein für dich!‘.