21. Mai: Die Eurofighter holen den Pott in den Pott

Dieser Abend ist die Krönung einer sensationellen UEFA-Cup-Saison. Im Guiseppe-Meazza-Stadion zu Mailand triumphiert der FC Schalke 04 am 21. Mai 1997 mit einem 4:1 im Elfmeterschießen über Inter Mailand. Ein Endspiel-Sieg, der sportlich zwar nicht am Reißbrett entsteht, bei dem aber technische Hilfsmittel ebenso eine nicht unerhebliche Rolle spielen wie die berühmte "blau-weiße Wand".

Olaf Thon

1997: Schalke gewinnt UEFA-Pokal-Endspiel gegen Inter Mailand

Gut 30.000 Schalker decken sich nach dem 1:0-Hinspielsieg im Parkstadion über alle nur denkbaren und undenkbaren Kanäle mit Karten für die unvergessliche Nacht in San Siro ein und feiern ihre Mannschaft schon gut zwei Stunden vor dem Anpfiff derart lautstark, dass die Stadionregie schließlich verzweifelt versucht, diese Anfeuerung durch ohrenbetäubende Musik aus den Stadionlautsprechern zu übertönen – was aber nicht gelingt. Auch während der 120 Minuten haben die Knappen gesangstechnisch eindeutig ein Heimspiel. Die in Blau und Weiß auf den Rängen hängen sich nicht weniger rein als die ganz in Weiß auf dem Spielfeld – und das will an diesem Abend etwas heißen. Manager Rudi Assauer tauft den grandiosen Rückhalt die „blau-weiße Wand“.

Olaf Thon kann den sensationellen Sieg nach dem Abpfiff kaum fassen: „Mein Gott, was für ein Abend. Als ich den Pott hochhob, zitterten mir vor Aufregung die Knie – viel mehr als bei meinem Elfmeter. Den habe ich eigentlich ziemlich cool reingehauen…“ Genau wie Ingo Anderbrügge, Martin Max und Marc Wilmots.

Dass der Krimi vom Punkt das Finale entscheidet, dafür ist Inter-Akteur Ivan Zamorano verantwortlich. Der Chile egalisiert fünf Minuten vor dem Ende den 1:0-Vorsprung der Schalker aus dem Hinspiel. Der Treffer ist ein wenig schmeichelhaft für das Team von Roy Hodgson, das sich lange Zeit gegen die überraschend offensiv auftretenden Gäste sehr schwertut.

Weil Martin Max in der Verlängerung den Ball über das Tor setzt und der Italiener Ganz mit einem Volley-Schuss nur die Latte trifft, geht es ins Elfmeterschießen. Erster Schütze ist Anderbrügge – sein kraftvoller Hammer in die rechte Ecke bedeutet nicht nur das 1:0, sondern ist laut Coach Stevens die Vorentscheidung: „Ich hatte davor ein gutes Gefühl, und es war ein Signal für alle, als Ingo verwandelt hatte.“

Dann Inter: Zamorano läuft an, schießt platziert in die von ihm aus gesehen rechte Ecke – doch Lehmann ist schon da und pariert. Der Keeper nach dem Spiel: „Ich wusste, dass Zamorano vermutlich in meine linke Torwart-Ecke schießt. Das macht er meistens, wenn er einen langen Anlauf nimmt. So stand’s auf dem Zettel, den mir der Trainer wie immer vor dem Spiel gab. Die Tricks und die Lieblingsecken der wahrscheinlichen Elfmeterschützen – er hat jedes Detail in seinem Laptop gespeichert.“

Doch einen hat der holländische Trainer trotzt aller Akribie vergessen: Ausgerechnet seinen Landsmann Aron Winter hat Stevens nicht auf seiner Elfer-Rechnung. Lehmann ist auf sich alleine gestellt und packt tief in die psychologische Trick-Kiste: „Ich bin auf Winter mit dem Ball zugegangen, habe mich ganz groß gemacht und ihm gesagt, dass ich in der Mitte stehen bleibe. Um ihn zu zwingen, in eine Ecke zu schießen.“

Winter tut ihm den Gefallen und jagt die Kugel rechts vorbei. Somit hat Wilmots Matchball. Er verlädt Inter-Schlussmann Pagliuca und schiebt locker unten links ein. Schalke ist UEFA-Cup-Sieger, der erste internationale Titel, die Überraschung ist perfekt. Und wie reagiert Mister Sorgfalt? Stevens notiert erst den entscheidenden Strafstoß des Belgiers, steckt die Kappe auf den Stift und erst dann fängt der Erfolgscoach an zu jubeln.

Und die Fans? Die jubeln, schreien, singen, weinen vor Glück, als das Wunder von Mailand vollbracht ist. Denn sie wissen alle, dass Schalke 04 an diesem Abend Fußballgeschichte geschrieben hat. Das perfekte Kollektiv hat über eine Ansammlung von individuellen Spitzenkönnern gesiegt. Oder wie es ein Fanplakat ausdrückte: „Datt erzähl ich meine Enkel“.

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