Wächter über königsblaue Pforten: Willi Kreckel

Eintrittskarten für die Spiele der Knappenschmiede kaufen Zuschauer und Fans seit fast 30 Jahren bei ihm: Willi Kreckel. Der 70-Jährige ist eine feste Größe im königsblauen Nachwuchs, ein Spieltag ohne ihn undenkbar. Der Kreisel hat einen Blick in den Arbeitsalltag des Vollblut-Schalkers geworfen.

So gut wie jeder kennt ihn hier, den Willi. Auch heute betritt der 70-Jährige pünktlich um 17 Uhr das Parkstadion, die Spielstätte der U23, von Kopf bis Fuß königsblau gekleidet. Bei knackigen zehn Grad Außentemperatur ist Zwiebellook angesagt. Unter der Stadionjacke sind ihm die Schalker Farben wie auf den Leib geschneidert. Zum Ensemble gehört neben der Trainingsjacke auch ein T-Shirt – natürlich in royaler Coleur. Willis Outfit lässt keinen Zweifel daran, welchem Verein sein Herz gehört. Und am heutigen Mittwoch ist es besonders wichtig, Farbe zu bekennen: Die Jungs empfangen die U21 des 1. FC Köln. Kreckel ist von Anfang bis Ende dabei.

Für ihn startet der Trubel viel früher – nämlich bereits am Tag vor dem Spiel. Der Kassierer holt die Tickets in der Geschäftsstelle und das Wechselgeld von der Bank ab, bevor er die letzten Vorbereitungen zu Hause trifft. „Wenn du bei einem Spiel der U23 ein paar tausend Zuschauer erwartest, ist das Wohnzimmer schon mal flächendeckend übersäht mit Eintrittskarten, alles liegt zum Vorsortieren und Zählen auf dem Boden“, erzählt Kreckel schmunzelnd. „Nicht selten musste ich sogar noch das Kinderzimmer beanspruchen.“

Corona vergeht – aber Schalke bleibt ein Leben lang.

Willi Kreckel

Heute ist der 70-Jährige früh auf dem Gelände. Alles will aufgebaut sein, der Anpfiff ertönt in gut zwei Stunden. Dem Gelsenkirchener bleibt also noch genügend Zeit. Coronabedingt sind aktuell nur 300 Zuschauer erlaubt, das bekommt auch er zu spüren: „Es ist viel weniger los.“ Die Stammgäste kommen natürlich immer noch. „Denen geht es wie mir. Ich sage immer: Corona vergeht – aber Schalke bleibt ein Leben lang.“

Was die Knappen betrifft, ist Kreckel ein Frühstarter, spazierte als Sechsjähriger mit seinem Vater in die Glückauf-Kampfbahn. Diese Tradition führt er später selbst als Vater fort und inzwischen auch als Opa. Für die VELTINS-Arena besitzt er eine Dauerkarte, selbstverständlich in der Nordkurve. Gemeinsam mit seinem 15-jährigen Enkel feuert er vor Corona die Profis von den Rängen aus an.

Kurz vor 18.30 Uhr: Alles ist bereit. Die Kasse steht, Tickets sind sortiert, Aufstellungen gedruckt und auch die Akkreditierungen für Journalisten liegen griffbereit. Der Schalker sitzt in seinem Kassenhäuschen am Stadioneingang und schaut durchs kleine Fenster auf drei Wachmänner der Security-Firma, die vor und hinter dem großen Eingangsbereich für Ordnung sorgen sollen. Auch an Willi Kreckel kommt heute niemand vorbei – zumindest nicht, ohne etwas Bares dazulassen. Mit seinem neuen Platz im umgebauten Parkstadion nutzt er einen Arbeitsplatz, der sich sehen lassen kann. „Das ist schon schön hier,“ findet er. „Vom Schneesturm über Orkanböen, Dauerregen oder brütende Hitze, in meinen 30 Jahren als Kassierer habe ich schon fast alles erlebt.“

Und das nicht nur wettertechnisch. Insgesamt fünf verschiedene Ämter bekleidet er in seiner Zeit auf Schalke. Für manche davon gibt es eindeutige Bezeichnungen, für andere nicht. So tourt er beispielsweise als „Mädchen für alles“ mit den Schalker Profis durch Europa oder begrüßt die Logen-Gäste zu Heimspielen in der Arena. Was 1977 als Betreuer und Schiedsrichter bei den Jugendspielen seines Sohns beginnt, wird schnell zur Lebensaufgabe, die er bis heute leidenschaftlich ausübt. Seit knapp 30 Jahren ist er nun für den Ticketverkauf bei U16, U17, U19 und U23 verantwortlich. Aber auch in der königsblauen Basketballabteilung reicht er bis zum vergangenen Jahr noch Tickets über den Tresen. 15 Jahre insgesamt.

18.30 Uhr. Die Mannschaft betritt den Rasen und wärmt sich auf. Erste Zuschauer sagen Hallo, darunter viele alte Bekannte. Man kennt sich hier. „Die meisten Spieler begleite ich schon seit Jahren, und auch Eltern und Fans sind häufig dieselben.“ Natürlich ist die Zuschauerzahl über die Jahre hinweg nicht immer so übersichtlich. Besonders im Gedächtnis verankert hat sich das Finale der deutschen A-Junioren-Meisterschaft 2015. Damals tritt die U19 gegen die TSG Hoffenheim an und gewinnt vor über 12.000 Zuschauern mit 3:1. „Die Stimmung war einfach bombastisch, das Stadion in Erkenschwick hat gebrannt. Ein ganz besonderes Spiel“, erinnert er sich mit verzücktem Gesicht.

19.30 Uhr. Der Schiedsrichter pfeift das Spiel an. Wer jetzt noch kommt, erfragt meist noch vor dem Ticketpreis den aktuellen Spielstand. „Auf diese Frage gebe ich stets dieselbe Antwort: ,Beide Tore stehen noch, keins ist umgefallen. Also steht es wohl noch 0:0‘“, verrät Kreckel und lacht herzlich.

Auch privat ist bei Willi Kreckel viel los. Wenn er nicht gerade mit seiner Frau auf der AIDA die Weltmeere bereist, verbringt er jede freie Minute fernab von Schalke mit seinen zwei Kindern und den sechs Enkeln. Trotz seines enormen Engagements hat seine Frau ihm in nun fast 50 Jahren Ehe „noch nicht die Rote Karte gezeigt“, erzählt der gelernte Industriekaufmann. „Sie ist, was meine Tätigkeit angeht, sehr verständnisvoll und unterstützt mich, wo sie nur kann. Ohne sie wäre das alles niemals möglich.“

Kurz vor 20.30 Uhr. Zweite Halbzeit. Pünktlich schließt der Kassierer sein Hauptarbeitsgerät. Jetzt darf auch er das Spiel verfolgen und den Knappenschmiede-Nachwuchs anfeuern. Nach Abpfiff noch schnell den Verkaufstisch abbauen, dann Heimfahrt. Dort angekommen, rechnet er Kasse und Tickets ab – und dann genießt auch der Rentner den Feierabend. Am Wochenende ist das aber häufig anders: „Meist spielen am nächsten oder sogar noch am selben Tag die Jungs der anderen Teams.“

Auf die Frage, ob ihm das alles nicht einmal zu viel werden könnte, schüttelt der gebürtige Gelsenkirchener nur mit dem Kopf: „Ich bin seit über 40 Jahren in verschiedenen Funktionen dabei und denke aktuell nicht daran aufzuhören.“ Das würde höchstens aus gesundheitlichen oder familiären Gründen der Fall. Aber noch wirkt der lebhafte Schalker topfit. „Beim jüngsten Lungenfunktionstest staunte der Arzt nicht schlecht, als er feststellen musste, dass ich die Puste eines 35-Jährigen habe“, berichtet er und muss erneut lachen. „Ich kann also noch ein paar Jahre mitanpacken!“