S04-Ehrenpräsident Gerhard Rehberg wird 80 Jahre

Flüchtling, Bergmann, Bürgermeister, Schalker – Gerhard Rehberg kann auf ein bewegtes Leben und eine eindrucksvolle Lebensleistung zurückblicken. Am Freitag (8.1.) macht der Schalker Ehrenpräsident einen großen „Runden“ voll: den Achtzigsten.

Als Gerhard Rehberg mit 16 Jahren im Ruhrgebiet ankommt, hat er so viel erlebt, dass es für mehrere Leben reicht. Schicksal einer Generation, die Krieg, Flucht und Vertreibung erfahren musste. Beängstigend ist, dass Menschen mehr als sieben Jahrzehnte nach Kriegsende Ähnliches durchleiden. „Das kommt wieder hoch“, sagt er mit Blick auf die Bilder der Hunderttausenden, die von Syrien und anderen Krisenherden der Welt nach Europa strömen. „Ich weiß, wie Flüchtlingen zumute ist.“

Im Januar 1945 reihen sich Auguste Rehberg und der kleine Gerhard – Vater Walter, Berufssoldat in der Wehrmacht, ist 1942 in Estland gefallen – in den Treck derer ein, die vor der Roten Armee von Ostpreußen gen Westen fliehen. Die Menschen helfen einander, so gut es geht. Rehbergs Handeln wird das lebenslang prägen. Die Flucht führt die Familie in das Lager Oksböl, wo Dänemark 20.000 der insgesamt 36.000 Flüchtlinge unterbringt. Rehberg erlebt Enge, Ungeziefer und – die erträgt er bis heute nicht – Ungerechtigkeit: „Deswegen habe ich immer ein Herz für Benachteiligte gehabt. Das wischst du nicht einfach so weg.“

Die Leidenschaft für Schalke entflammt

Doch in dieser beschwerlichen Zeit legt das Schicksal noch einen anderen Grundstein: Der junge Gerhard lernt einen jungen Mann kennen, dessen Vater Torwart bei Hindenburg Allenstein aus dem Gau Ostpreußen gewesen ist und sich sieben Tore gegen einen anderen Verein gefangen hatte: Schalke 04. Der Demütigung des Vaters zum Trotz – der Sohn ist Feuer und Flamme für den Verein aus dem Ruhrgebiet, er füllt ein Sammelalbum und steckt mit seiner Leidenschaft Gerhard Rehberg an. Den wird diese Begegnung Jahre später ins Ruhrgebiet lenken.

Eigentlich will Rehberg, dessen Familie 1948 in Schleswig-Holstein eine Heimat findet, zur See fahren, doch dann fährt er unter Tage ein. Die Bergwerksgesellschaft Hibernia schickt ihre Werber bis in den hohen Norden. Die Aussicht auf guten Lohn und die Hoffnung, es womöglich als Steiger einmal in den Beamtenstatus zu schaffen, locken Rehberg. Und dann ist da ja noch Schalke. Er entscheidet sich für die Zeche Westerholt. Dort kann der angehende Knappe seinen Knappen am nächsten sein.

Schalke hält mich jung und hat mir graue Haare wachsen lassen.

In der Oberliga West sieht er beinahe jede Partie, heutzutage gälte er damit wohl als Allesfahrer. Und als es im Niedersachsenstadion von Hannover zur Krönung von Klodt, Koslowski, Kördell und Co. kommt, ist er dabei, erlebt live die siebte „Deutsche“ des FC Schalke 04 mit. 1958 – welch ein Jahr für Gerhard Rehberg. Beim Heimaturlaub in Schleswig-Holstein lernt er Ilka, die Liebe seines Lebens kennen, die vier Jahre später Sohn Thorsten auf die Welt bringen wird. Auf dem Pütt wird er Hauer, dazu Sozialdemokrat mit Parteibuch.

Der Stadtteil Hassel, ein reiner Bergarbeiterbezirk, wird Jahre später sein Wahlkreis, bei der SPD übernimmt er den Ortsverein Hassel-Nord. Sein Leitbild in der lokalpolitischen Arena: nah am Menschen sein. 1979 wählen ihn die Bürger zum ehrenamtlichen Bürgermeister, am Ende wird er das Amt mehr als ein Vierteljahrhundert bekleidet haben. Wie den Roten und den Königsblauen bleibt er dem schwarzen Gold treu, wird 1967 Steiger und ist als solcher 25 Jahre auf der Zeche Westerholt tätig. Als die ersten türkischen Arbeitsimmigranten kommen, ist es Rehberg, der sich um ihre betriebliche Integration kümmert. Er wird eine Art Beichtvater für die türkischen Kumpels, der Beginn einer Leidenschaft für die Türkei. Die Städtepartnerschaft Gelsenkirchens mit Büyükcekmece aus der Provinz Istanbul geht auf seine Initiative zurück.

Geboren am 8. Januar 1936 in Powunden/Ostpreußen, dem heutigen Chrabrowo
1952 Eintritt in die Gewerkschaft IG Bergbau
1954 Jugendvertreter beim Bergwerk Westerholt
1975-2004 Mitglied im Rat der Stadt Gelsenkirchen
1979-2004 Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Hassel-Nord
1979-2004 Ehrenamtlicher Bürgermeister der Stadt Gelsenkirchen
1990 Bundesverdienstkreuz am Bande
2004 Ehrenbürger der Stadt Gelsenkirchen
2005 Ehrenmitglied von Galatasaray Istanbul
1994-2007 Vorsitzender des FC Schalke 04
Seit 2007 Ehrenpräsident des FC Schalke 04
2010 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse

Als Gerhard Rehberg1994 Vorsitzender seines Herzensvereins wird, titelt die Hamburger Morgenpost: „Ein Ehrenmann wird Chef auf Schalke“. Die modernste Satzung, die die Bundesliga bis dato gesehen hat und die als Vorbild für andere Vereine gilt, lenkt den „Chaosclub“ in ruhigeres Fahrwasser – mit Rehberg am Steuerrad. Mit diesem Mann des Ausgleichs, diesem Ruhepol mit zahlreichen guten und besten Kontakten an der Spitze, wandelt sich der S04 zu einem seriösen und konstant gelenkten Verein. Was ihm manche Seite als Schwäche vorwirft, ist Stärke seiner Amtsführung: Er umkurvt Mikrofone und Kameras, zum Selbstdarsteller taugt er nicht, vielmehr: will er nicht taugen.

Der Traum vom neuen Stadion

Ihm gelingt der Spagat zwischen Kommunalpolitik und königsblauer Lobbyarbeit, insbesondere im Ringen um das Meisterstück seiner langen Amtszeit, den Bau der Arena. Die großen Erfolge – der Triumph von Mailand („ein Glücksgefühl“), die DFB-Pokalsiege – und die Beinahe-Meilensteine mit den Vize-Meisterschaften sind für ihn allerschönste Erinnerung, doch ein besonderer Glanz strahlt aus Gerhard Rehbergs Augen, wenn er vom Stolz auf die Arena erzählt.

Der Fußball-Tempel ist das Ergebnis eines kollektiven königsblauen Kraftakts, beste Teamarbeit. Schatzmeister Josef Schnusenberg obliegt die Finanzplanung, Geschäftsführer Peter Peters kümmert sich um das Tagesgeschäft, Rudi Assauer beackert die Öffentlichkeit, wirbt um Partner und Sponsoren, Rehberg wirkt in der politischen Arena. Ohne ihn hätte der S04 wahrscheinlich nicht die dreistellige Millionenbürgschaft vom Land Nordrhein-Westfalen erhalten. Und als der S04 die ersten Aufträge bereits vergeben hat, aber noch seit Wochen auf die finale Bürgschaftsunterschrift von Finanzminister Heinz Schleußer wartet, stürmt Rehberg ohne Termin, aber mit wilder Entschlossenheit – „da kam mein ostpreußischer Dickschädel durch“ – in dessen Düsseldorfer Büro und holt sie sich.

Gerhard Rehberg hat in seinen Amtszeiten als Vorsitzender und Ehrenpräsident viele kommen und gehen gesehen, vieles erlebt, vieles bewegt, manches auch erlitten. Was schätzt er am Phänomen Königsblau? „Dass es für viele Menschen ein Zuhause, eine zweite Heimat sein kann. Dass sie diesen Verein in ihre Seele eingeschlossen haben. Schalke geht mehr in die Tiefe. Wenn sich Menschen nichts zu sagen haben – über Schalke können sie immer reden.“

Das macht er weiterhin. Seit 2007 ist er Ehrenpräsident, seit dem Ausscheiden von Josef Schnusenberg als Vorsitzender nimmt er zudem die repräsentativen Aufgaben des Clubs wahr. Rehberg bewegt sich erfahren auf dem internationalen Parkett der großen Tiere, hat aber stets ein offenes Ohr insbesondere für den kleinen Fan. Mögen die Sorgen und Probleme noch so marginal erscheinen, Gerhard Rehberg nimmt sich Zeit, kümmert sich, vermittelt. So wie er es in seinem Leben stets zu tun gepflegt hat. „Schalke hält mich jung und hat mir graue Haare wachsen lassen.“ Sagt der Mann mit der schlohweißen Pracht auf dem Haupt.

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