FC Schalke 04 trauert um Wolfram Wuttke

Am Ball konnte er Fußballfans verzücken, außerhalb des Platzes konnte er Trainer und Funktionäre zur Weißglut treiben. Er war ein Genie und galt zugleich als Enfant terrible. Hätte der ehemalige Schalker je eine Biografie geschrieben, so verriet er einmal, er hätte sie „Das verdammte Fußballleben des Wolfram Wuttke“ überschrieben. Nun ist dieses Leben zu Ende gegangen. Viel zu früh im Alter von nur 53 Jahren.

Vielleicht hat Wolfram Wuttke beim Titel seiner imaginären Lebensgeschichte zwischen zwei Buchdeckeln auch an das Jahr 1980 denken müssen. An das Jahr, an dem der Junge aus Castrop-Rauxel, der stolz von sich sagte „Ich bleibe ewig der Junge aus dem Kohlenpott“, den FC Schalke 04 verlassen musste. Der Verein sah sich gezwungen, das außerordentliche Talent, eines der größten im deutschen Fußball der 1980er-Jahre, zu Geld zu machen, um sich im finanziellen Engpass wieder mehr Spielraum zu verschaffen. Zwei Jahre zuvor hatte Wuttke die königsblaue B-Jugend zur Deutschen Meisterschaft geführt, 1979 dann als einer der jüngsten Spieler der Schalker Bundesliga-Historie seine Premiere und sein Tordebüt im Oberhaus gefeiert. Vom S04 schwärmte er später einmal in einem Interview: „Ich habe mich bei Schalke nie als Nummer gefühlt, sondern immer als Teil einer Familie.“

In der Rückrunde 1982/1983 kehrte er nach dem Kapitel Borussia Mönchengladbach noch einmal zu den Knappen zurück, konnte den S04 aber trotz seiner sieben Treffer in 16 Spielen nicht vor dem zweiten Abstieg in die Zweite Bundesliga bewahren und wechselte schließlich zum Hamburger SV. Von seinen insgesamt 299 Bundesliga-Partien und 66 Toren absolvierte er 48 im königsblauen Trikot, in dem er zehn Mal traf. Außerdem bestritt er für den S04 sieben Spiele im DFB-Pokal.

Der begnadete Techniker Wuttke verzückte die Fußball-Welt durch seine raffinierten Schüsse mit dem Außenrist, seine Eck- und Freistöße waren gefürchtet. Seine andere Spezialität war sein Hang zu Eskapaden, mit denen er sich selbst im Weg und deshalb oft in Schlagzeilen stand. Ebenso wie er auf dem Rasen Spaß hatte und den Fans Freude bereitete war Wuttke auch immer der Junge, der im Leben einfach nur Spaß haben wollte. Ein Lausbub, ein Filou. Auf Schalke fuhr er mit 17 Jahren im Wagen von Betreuer Charly Neumann auf das Vereinsgelände, während auf dem Rasen gestandene Kollegen wie Klaus Fischer und Rüdiger Abramczik schufteten. Neumann soll ihm eine Ohrfeige verpasst haben. Was laut Wuttke nicht stimmte, sich aber in der Zeitung besser las. Später soll er DFB-Juniorentrainer Dietrich Weise ins Bett gepinkelt haben, Wuttke klärte drei Jahrzehnte später auf, es sei nur ein Eimer Wasser gewesen, ein dummer Jungenstreich. Verdammtes Fußballleben – die Wortwahl entsprang einer Selbsterkenntnis: Der Weg in die Schlagzeile war ebenso ein Weg in die Schublade.

Legendär wurde Wuttke, weil er Jupp Heynckes‘ Spitznamen „Osram“ öffentlich machte und sich in Kaiserslautern nach einem unerlaubten Weinfest-Besuch mit der Notlüge retten wollte, er habe gar nicht auf dem Weinfest gewesen sein können, da er schließlich Biertrinker sei. Zu der Zeit war er in der Pfalz zum Nationalspieler gereift, kam aber zwischen 1986 und 1988 nur zu vier Länderspielen. Allerdings gehörte er zur Olympia-Mannschaft, die 1988 in Seoul die Bronzemedaille gewann. Er sei ein Genie gewesen, aber eben ein schlampiges, lautete der allgemeine Tenor. Wuttke selbst meinte, das sei die Frage gewesen, die ihm am häufigsten gestellt worden ist: Ob es nicht noch mehr Länderspiele hätten sein können, wenn er nur vernünftiger gewesen wäre.

Ein einfaches, leichtes Leben sollte Wuttke nicht vergönnt sein. Nach zwei Jahren in Diensten von Espanyol Barcelona und einer Saison beim 1. FC Saarbrücken zwang ihn 1993 ein Schulterbruch in die Sportinvalidität. In der Folge ging schief, was schief gehen konnte: Seine Ehe scheiterte, ein Sportgeschäft führte ins finanzielle Fiasko, im Jahr 2000 erkrankte er an Brustkrebs. Wuttke bestand die schwere Prüfung. Als er den Krebs gerade überstanden hatte, zog er sich beim Tennis zuerst einen Achillessehnenriss und später einen Mittelfußbruch zu. Um seinen letzten Zweikampf zu gewinnen, fehlte ihm an Ende die Kraft. Im Alter von nur 53 Jahren fiel Wolfram Wuttke in ein Koma, aus dem er nicht mehr erwachte. Verdammt, will man aufschreien.

Wir sind tief betroffen und in Gedanken bei der Familie und seinen Freunden. Der FC Schalke 04 wird sein Andenken stets in Ehren halten.

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