Peter Knäbel: Wissenschaft und Maloche

Der Kalender ist voll, die Erwartungen sind groß. Und diese nervigen Wespen umschwirren unablässig Kartoffelsuppe und Apfelschorle. Man könnte verstehen, wenn Peter Knäbel beim späten Mittagessen angespannt wäre. Doch er lächelt nur – denn die Herausforderung auf Schalke ist genau sein Ding.

Als feststand, dass Knäbel Technischer Direktor Entwicklung und damit Chef der Knappenschmiede wird, schien der eine oder andere Journalist etwas überrascht. Seit seiner geräuschvollen Zeit beim Hamburger SV vor zwei Jahren war er wie aus der Öffentlichkeit verschwunden. Schalkes Manager Christian Heidel hatte sich fast eine Saison lang Zeit genommen, um den vakanten wie wichtigen Führungsposten sinnvoll zu besetzen. Dann präsentierte er Knäbel, der sich in der Schweiz über Jahre den Ruf eines Nachwuchsexperten erworben hat. Heidels Ansage: „Ich wollte den besten Mann für diese Position. Und den haben wir bekommen.“

Seitdem sind mehr als vier Monate vergangen, und man kann sagen: Knäbel hat die Zeit genutzt. Der 51-Jährige hat Abläufe und Strukturen im Nachwuchsleistungszentrum inspiziert und mit jedem Mitarbeiter gesprochen. Er hat Arbeitsgruppen gebildet, Büros neu eingeteilt, das Organigramm aufgeräumt, Informationsflüsse kanalisiert und an Konzepten gefeilt. Vor allem schaute er Fußball. Mal in China, mal in Finnland, mal in Ennepetal. Bis zu sechs Partien besucht er pro Woche. SMS können morgens vor dem Frühstück beim Empfänger aufblinken – oder kurz vor Mitternacht. Bei einem Kick-off-Termin für die gesamte Belegschaft baute er in seine Präsentation zwei Zitate ein. Eins von Goethe: „Erfolg hat drei Buchstaben: TUN!“ Das andere stammte aus einem Glückskeks, den er in einem chinesischen Restaurant bekam: „Beharrlichkeit wird das gewünschte Ergebnis bringen.“ Peter Knäbel verleiht diesen Worten Leben: extrem umtriebig, ohne allerdings den großen Umstürzler zu geben. Dabei stets freundlich, man duzt sich. Das schätzen die Menschen auf dem Platz und in der Geschäftsstelle.

Für Knäbel ist das Engagement auf Schalke wie eine Rückkehr nach Hause. Jahrzehntelang hat er in Nord- und Süddeutschland, vor allem aber in der Schweiz gelebt. Jetzt ist er wieder im Ruhrgebiet, wo er 1966 in Witten geboren wurde und heute in Bochum in einer alten Zechensiedlung wohnt. „Den Ruhrpott-Jungen in mir habe ich nie verloren“, betont Knäbel. Sein Großvater väterlicherseits war Oberstudienrat für Mathematik und Physik. Von ihm kommt die Leidenschaft fürs Lernen, für Wissen, für Bildung. „Ich bin gerne zur Schule gegangen, hatte tolle Lehrer“, erinnert sich Knäbel. Er interessiert sich für Sport und Geschichte, macht Abitur. Später will er Medizin studieren, landet dann bei Jura – doch parallel zum zeitintensiven Profifußball bleibt dieses Unterfangen unvollendet. Die Großeltern mütterlicherseits hingegen besaßen eine Wäscherei. Der kleine Peter geht mit in die Kaue und hilft, die dreckige Arbeitskleidung der Bergmänner einzusammeln. Fußball spielt in diesem Verwandtschaftszweig eine riesige Rolle, der Opa war einst sogar an der Gründung eines kleinen Regionalcubs beteiligt. Auch der Enkel verliert sein Herz schnell an das Spiel mit den elf Freunden und dem Ball.

Es ist Peter Knäbel wichtig, diese beiden biografischen Pfade freizulegen: hier der eher intellektuelle, dort der malochende, der dem Arbeitersport Fußball nahesteht. Wissenschaftliche Studien zum Sport und moderne Technologien interessieren ihn brennend, aber mindestens genauso wichtig sind ihm die klassischen Werte, der Wesenskern des Fußballs. „Ich dreh durch, wenn diese Werte mit Füßen getreten werden“, betont er. Er nennt es „meine Ambivalenz“ – und so fühlte es sich für ihn wahrscheinlich auch damals an, als Junge auf den Bolzplätzen. „Wenn du andere Wörter benutzt und dann beim Fußball auch noch eine Brille trägst, bist du bei den Haudegen schnell der Professor.“ Bei allen Hänseleien: Diese vermeintliche Ambivalenz wird sich zur Grundlage seiner späteren Karriere entwickeln.

Seinen ersten Berufswunsch erfüllt sich Knäbel Mitte der Achtzigerjahre: Er wird Fußballprofi. Der Mittelfeldmann absolviert mehr als 200 Erst- und Zweitligaspiele. 1988 erreicht er mit dem VfL Bochum das DFB-Pokalfinale (0:1 gegen Eintracht Frankfurt), zehn Jahre später steigt er mit dem 1. FC Nürnberg in die Bundesliga auf. Er ist zufrieden mit seiner Laufbahn und entdeckt früh seine Affinität fürs Coachen. „Schon als Neunjähriger habe ich für meinen Nachbarn Gernod einen Torwarttest aufgeschrieben“, erzählt er und lacht. Zwischen 1995 und 1998, als er noch Profi in Nürnberg ist, arbeitet er parallel als Jugendtrainer beim Club.

1998, auf der Zielgerade seiner Karriere, kommt ein Angebot, das sein Leben verändern wird: Der Schweizer Verein FC Winterthur sichert sich Knäbel als Spielertrainer. Schnell übernimmt er auch die Jugendarbeit. Hier wird er zum Allrounder. Nach einem Wechsel an der Vereinsspitze verlagert sich sein Arbeitsplatz vom Rasen ins Büro. Er, der Fußballer mit der Brille, übernimmt den Laden in geschäftsführender Funktion und muss sich nun mit neuen Fragen beschäftigen: Wie funktioniert der Computer? Wie führe ich Personal? Und was ist eigentlich eine BVG-Revision? Als neugieriger Autodidakt findet er Antworten. Er holt sich Rat und lernt, während er arbeitet.

Er erledigt den Job letztlich so gut, dass ihn der FC Basel 2003 als Technischen Direktor und Nachwuchschef holt. Mehr Möglichkeiten, mehr Ambitionen. Es wird Knäbels Durchbruch als Funktionär und katapultiert ihn – als Deutschen! – 2009 auf den Posten des Technischen Direktors des Schweizerischen Fußballverbands. All das, was auf den Fußballplätzen im Land der Eidgenossen geschieht, verantwortet nun der gebürtige Wittener. „Diese Zeit war prägend und fordernd“, beschreibt Knäbel seine Jahre in der Schweiz, vor allem beim Verband. Dort veredelt er seinen Ruf als Fachmann für Nachwuchsarbeit. Auch während seiner nächsten Station beim Hamburger SV (2014-2016), bei der er formal für die Lizenzspieler zuständig ist, engagiert er sich bei den Junioren. Danach arbeitet er als selbstständiger Berater, unterstützt etwa das Nachwuchsleistungszentrum des VfB Stuttgart.

Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, das Vermitteln des Spiels ist für ihn eine Aufgabe, die Erfüllung verspricht. „Ich habe mich dafür entschieden, weil ich mein Wissen weitergeben möchte.“ Bei allen Trends in der Ausbildung verliert er nie den Blick fürs Wesentliche: „Der Spieler steht im Zentrum. Immer!“ Wenn ihm Ideen oder Technologien präsentiert werden, stellt er stets dieselbe Frage: „Wo sieht man das auf dem Platz?“

Sich selbst sieht er auch mit 70 Jahren, wenn die Karriere vorbei ist, noch auf dem Spielfeld. Eine Fußballschule für Kinder will er dann gründen. „Ich bin dann der alte Mann mit dem Ballsack“, scherzt er. Vorher gilt es aber erst einmal, die Knappenschmiede „ins neue Jahrzehnt zu führen“. Eine spannende, eine große Aufgabe (siehe Kasten) – genau solche Herausforderungen motivieren ihn, erklärt Knäbel. Er mag es, wenn es brummt. „Intensität ist wichtig. Sonst ist es verlorene Zeit.“

Dann verabschiedet er sich. Die Wespen am Esstisch haben längst aufgegeben, und er muss jetzt auch weiter. Nach Arnheim. Peter Knäbel will am Abend noch ein Spiel sehen.

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