Adlerauge: Kai Hesse in neuer Position an alter Wirkungsstätte

16 Jahre sind vergangen, nun ist Kai Hesse zurück auf Schalke. Einst talentierter Knappenschmiede-Absolvent, sucht man den heute 35-Jährigen auf dem Rasen jedoch oft vergebens. Als Co-Trainer der U23 hat er einen neuen Posten bezogen – und von weit oben den Überblick. Im Schalker Kreisel spricht er über seine Ausbildung in der Knappenschmiede, seinen Werdegang und seine aktuelle Aufgabe als Trainer.

Spielt der Gegner wie erwartet? Geht der Matchplan auf? Stimmen Laufwege und Räume? Was muss verändert werden, um das Spiel erfolgreich zu gestalten? Fragen, mit denen sich Kai Hesse während der Regionalliga-Partien der königsblauen Zweitvertretung beschäftigt. Gemeinsam mit Tomasz Waldoch bildet er das Co-Trainer-Gespann an der Seite von Chef-Coach Torsten Fröhling. Anders als seine Kollegen beobachtet Hesse die Spiele aber aus der Vogelperspektive. „Ich brauche für meine Arbeit den analytischen Blick auf das Spiel, um die Schwachstellen des Gegners zu finden“, erklärt er. Sein Arbeitsplatz am Spieltag: so weit oben wie möglich.

In der Regionalliga West sind die Gegebenheiten dabei sehr unterschiedlich. Bei Heimspielen nimmt Hesse auf der Tribüne im Parkstadion Platz, auswärts muss schon mal eine Treppe oder ein kleiner Hügel für den Überblick reichen. „Für mich ist es wichtig, nicht unten am Spielfeldrand zu stehen und mich zu sehr von den Emotionen mitreißen zu lassen. Sonst besteht die Gefahr, dass ich vergesse, wofür ich am Spieltag da bin“, verrät der neue „Co“, „nämlich nicht, um die Jungs zu pushen, sondern das Spiel zu analysieren und dem Trainer entsprechende Empfehlungen an die Hand zu geben. Aus der Vogelperspektive kann ich mich besser aufs Wesentliche fokussieren.“

In seiner neuen Arbeit geht der ehemalige Profi voll auf. „Als Co-Trainer stehe ich mit den Jungs auf dem Trainingsplatz, leite Übungseinheiten und das Individualtraining. Vor allem analysiere ich aber unsere Spiele im Ganzen, die Spieler einzeln sowie den kommenden Gegner. Die Kombination aus analytischer Arbeit und praktischer Tätigkeit gefällt mir sehr.“ Dabei versucht der 35-Jährige immer, den Jungs anhand der Videosequenzen die Spielphilosophie zu vermitteln und diese gleichzeitig auf dem Platz umsetzen zu lassen.

Doch die Mammutsaison in der Regionalliga West mit insgesamt 40 Partien geht auch an dem U23-Trainer nicht spurlos vorbei. Nachtschichten nach Abendspielen und in Englischen Wochen sind beinahe alltäglich. Umso mehr freut es den gebürtigen Wickeder, wenn er sieht, wie die Spieler die Theorie auf dem Platz umsetzen, den Gegner so bespielen, wie es sich das Trainerteam vorstellt, und am Ende erfolgreich damit sind. „Die Jungs zahlen die Anstrengungen vielfach zurück und sind dankbar für unsere Arbeit. Jeder ist absolut lernwillig und fleißig“, lobt Hesse die Mannschaft.

Hier ist die Schwelle zum Profifußball. Das merkt man in vielen Bereichen sehr deutlich.

Kai Hesse

Im Umgang mit den jungen Spielern helfen ihm vor allem seine Erfahrungen als Profifußballer. „Ich kann mich in sie hineinversetzen und weiß, was es bedeutet, auf dem Platz einen Fehler zu machen.“ Neben 28 Zweit- und 65 Drittligaspielen blickt der Sauerländer auf einen großen Erfahrungsschatz auf aktuellem Terrain zurück. 104 Einsätze in der Regionalliga Südwest, 38 in der Regionalliga Nord und 12 in der Südstaffel stehen auf seinem Konto. Der vierten Liga spricht Hesse dabei eine besondere Rolle zu: „Hier ist die Schwelle zum Profifußball. Das merkt man in vielen Bereichen sehr deutlich. Einige Spieler machen in dieser Liga ihre ersten Erfahrungen im Herrenbereich. Das ist nicht immer einfach.“

Viele Talente kommen aus namhaften Nachwuchsleistungszentren, in denen sie es gewohnt sind, oben mitzuspielen. Mit Misserfolgen umzugehen, lernen sie oft
erst im Herrenfußball. „Das ist aber ebenso wichtig wie Siegeswille und Gewinnermentalität. Ich möchte Werte wie Ehrlichkeit, Vertrauen, Einsatz und Integrität vermitteln. Das gehört zum Gesamtpaket eines Profis“, beschreibt Hesse. Sein Ansatz beruht dabei auf einem simplen Prinzip: „Die Jungs sollen nicht nur lernen, was ich ihnen mitzugeben versuche, sondern es verstehen. Denn was man gelernt hat, kann man wieder verlernen, aber was man verstanden hat kann man nicht ‚entverstehen‘.“

Dass dies aber nicht immer leicht ist, weiß der ehemalige Knappenschmiede-Spieler. Im Jahr 2000 wechselt der damals 15-Jährige vom SF Oestrich-Iserlohn in die Schalker Jugendakademie. Anfangs legt er den täglichen Weg aus seiner Heimatstadt Menden nach Gelsenkirchen noch mit dem Fahrdienst zurück, bevor er sich zu einem Wechsel ins Internat entschließt. „Ich habe damals direkt auf dem Gelände in der heutigen Geschäftsstelle gewohnt und die Gesamtschule Berger Feld besucht. Das erste Mal fernab der Eltern zu leben, war nicht ganz einfach und hat mich schneller erwachsen werden lassen“, blickt er zurück.

Hesse läuft je zwei Jahre für die Schalker U17 und U19 (2000-2004) auf. Mit den B-Junioren wird er in der Saison 2001/2002 sogar Deutscher Meister. „Das war ein super Jahr mit einer großartigen Mannschaft.“ Sein Coach damals: Manfred Dubski. „Es ist schön, nach so vielen Jahren jetzt wieder mit Manni zusammenzuarbeiten. In seiner Funktion als U23-Scout haben wir viele Schnittstellen.“

Nach seiner Zeit in der Knappenschmiede stattet ihn der S04 mit einem Profivertrag aus. Einsätze sammelt er jedoch lediglich in der Zweiten Mannschaft, ehe es
ihn zu anderen Stationen wie VfB Lübeck, TSG Hoffenheim und 1. FC Kaiserslautern zieht. Kontakt zu ehemaligen Teamkollegen pflegt er nur vereinzelt. „Natürlich beobachtet man, wie sich die Karrieren damaliger Mitspieler entwickeln. Ich habe in der U17 mit Manuel Neuer zusammengespielt, der es bis in die Weltspitze geschafft hat. Das ist schon beeindruckend.“ Auch mit Tim Hoogland hat er über die Jahre immer mal wieder Kontakt. Heute treffen sich die beiden durch ihre Trainertätigkeit auf Schalke wieder häufiger.

Mit der Zeit hat sich in der Knappenschmiede viel verändert. Vor allem infrastrukturell sieht Hesse eine große Entwicklung. Die Platzsituation ist nicht mit der damaligen zu vergleichen. Und auch personell hat sich einiges getan: „Insgesamt gibt es viel mehr Leute um das Team herum. Sportpsychologen, mehrere Co-Trainer, Betreuer, Physiotherapeuten unterstützen die Jungs auf ihrem fußballerischen Weg.“ Einen Fortschritt sieht der U23-Trainer vor allem im Doppelpass zwischen Schule und Fußball. „Bevor ich ins Internat gewechselt bin, hatte ich manchmal 120 bis 150 Fehlstunden. Ich war damals für die Nationalmannschaft
nominiert und deshalb viel auf Reisen. Den versäumten Unterricht musste ich dann später nachholen. Heute wird verstärkt darauf geachtet, dass die Anzahl
an Fehlstunden nicht zu hoch wird.“

Selbst noch mal Talent in der Knappenschmiede zu sein, reizt den 35-Jährigen aber nicht. „Vielleicht würde meine Antwort mit gesunden Knien anders ausfallen“, scherzt er. „Ich denke, jeder hat seine Zeit. Ich hatte meine und habe dabei für mich – mit Einsätzen in der Zweiten Liga und mit zwei Bundesliga-Aufstiegen – das Maximum rausgeholt. Ich bin absolut zufrieden mit meinem Weg und froh, auch nach meiner Profikarriere im Fußballbereich arbeiten zu können.“ Ab und zu juckt es ihn dennoch, mit seinen Jungs zu kicken. Oft muss er das auch, wenn bei einer Übungsform beispielsweise ein Spieler fehlt. „Das macht natürlich Spaß. Aber ich merke meistens schnell, dass es körperlich einfach nicht mehr geht.“

Es war schön, Gerald Asamoah und Tomasz Waldoch wiederzutreffen und jetzt mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Kai Hesse

Sein Entschluss, nach der aktiven Karriere als Trainer zu arbeiten, reift recht früh. Die ersten Schritte als Coach geht Hesse als Co-Trainer der B-Junioren bei Eintracht Frankfurt. Als das Angebot der königsblauen U23 kommt, überlegt er nicht lange. „Gerald Asamoah und Peter Knäbel hatten mich kontaktiert“, berichtet er. „Ich habe mich dann in einem Gespräch vorgestellt und schnell gemerkt: das passt!“ Als er das Funktionsteam kennenlernt, trifft er neben Manfred Dubski weitere bekannte Gesichter. „Es war schön, Gerald Asamoah und Tomasz Waldoch wiederzutreffen und jetzt mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die beiden waren in meinem ersten Jahr im Profikader selbst noch aktiver Teil der Mannschaft.“

Dass der Wechsel klappt, liegt auch an der Bereitschaft der Eintracht, die ihn ein Jahr vor Vertragsende ziehen lässt. „Frankfurt hat mir den nächsten Schritt ermöglicht, dafür bin ich sehr dankbar.“ In der U23 arbeitet Kai Hesse jetzt an der Schnittstelle vom Jugendzum Profibereich. Und wo sieht er seine berufliche Zukunft? „Der Fußball ist heute so professionalisiert, dass man für jeden Bereich Experten braucht. Ich habe für mich die Position als Co-Trainer Analyse gefunden, in der ich unglaublich gerne arbeite.“ Ob in der Bundesliga oder im Jugendbereich, da möchte er sich heute noch nicht festlegen. „Es ist ein schönes Gefühl, zurück auf Schalke zu sein.“

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