Miriam Höller: Meine Familie hat mich gerettet

Miriam Höller war Stuntfrau, wurde durch Heidi Klum als Model bekannt und arbeitet heute als Moderatorin sowie Motivationsrednerin. Als das Schicksal die 32-Jährige mit voller Wucht traf, half nur noch der Schritt zurück in die Heimat, zu der auch der FC Schalke 04 gehört.

Miriam Höller

Miriam Höller, wir haben uns zum Fotoshooting in der Glückauf-Kampfbahn getroffen. Ihr Eindruck?
Man atmet Schalker Geschichte. Ich kenne die Bilder von früher: überfüllte Tribünen und Fans, die auf Zäunen oder Bäumen sitzen. Wenn man hier steht, werden sie lebendig. Es ist wichtig, seine Wurzeln zu kennen – und man spürt, dass die königsblauen hier liegen.

Ihre Wurzeln sind in Schermbeck zwischen Niederrhein und Münsterland verortet. Ist Ihre Heimat ein Ankerpunkt?
Definitiv. Ich bin aus beruflichen Gründen oft in Großstädten und genieße die Möglichkeiten, aber dauerhaft dort zu leben würde mich stressen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und fühle mich abseits der Hektik zu Hause. In Schermbeck bin ich noch immer die kleine Miriam. Manchmal bekomme ich beim Metzger sogar noch ein Stück Fleischwurst angeboten (lacht).

Wie gehen die Menschen mit Ihnen um?
Zum Glück so wie früher, auch wenn viele mich im Fernsehen erlebt haben und meine Geschichte kennen. Das tut gut, denn ich brauche keine Bevorzugung. Ein Beispiel: Als Jugendliche habe ich auf dem Markt den Schermbecker Weihnachtsengel gespielt. Kürzlich hat mir der „Weihnachtsmann“ von damals einen ganz lieben Brief geschrieben, der mich wahnsinnig berührt hat, weil er von einem Menschen kam, der mich so kennt, wie ich bin. Heimat ist zum einen wichtig, um die Bodenhaftung zu behalten. Andererseits habe ich den Rückhalt von Freunden und Familie gebraucht in Momenten, in denen ich viel Kritik einstecken musste.

Miriam Höller

Zum Beispiel?
Das Model-Business ist unerbittlich. Da hörst du andauernd Stimmen, die sagen, dass du nicht hübsch oder dünn genug bist. Das kann belastend sein, aber ich wusste, dass es einen Ort gibt, wo ich gut genug bin: zu Hause. Wenn ich in dieser Zeit meine Familie nicht gehabt hätte, hätte ich vielleicht wie andere Mädchen Probleme mit Drogen oder Essstörungen bekommen.

Ist Schalke ebenfalls ein Stück Heimat?
Auf jeden Fall, weil der Verein ein wichtiger Teil meiner Kindheit war. Ich denke oft daran, wie ich im Parkstadion in der Nordkurve bei Papa auf den Schultern saß, um etwas vom Spielfeld sehen und den Schal so hoch wie möglich halten zu können. Auch in der Zeit, als es mir richtig schlecht ging, bin ich ins Stadion gegangen. Um den Zusammenhalt der Menschen und diese besondere Dynamik zu spüren.

Ihre ersten Erinnerungen an den S04?
Meine königsblaue Bettwäsche. Ich habe immer darauf bestanden, dass sie einzeln gewaschen wird – aus Angst, sie könnte sonst schmutzig werden oder sich verfärben. Und natürlich meine erste Schalke-Fahne an einem ganz dünnen Holzstab, auf die ich als kleines Mädchen wahnsinnig stolz war.

Ich bin am liebsten im Stadion, weil die Menschen dort so loslassen können wie an fast keinem anderen Ort.

Miriam Höller

Wie liefen Spieltage im Hause Höller ab?
Laut und emotional. Wenn wir nicht im Stadion waren, haben wir uns oft mit Freunden getroffen. Das muss ein wirklich verstörendes Bild gewesen sein, wenn ansonsten vernünftige und gelassene Menschen den Fernseher anschreien (lacht).

Und heute?
Ich schaffe es leider nur sehr selten ins Stadion, weil ich oft am Wochenende arbeite. Aber mein Vater hält mich auf dem Laufenden. Er ruft mich an oder schickt mir Nachrichten, die ich Backstage lese. Der Fußball verbindet meinen Papa und mich seit meiner Kindheit, und das wird immer so bleiben. Schließlich war ich mit ihm und meinem Bruder ganz oft auf dem Platz beim SV Schermbeck. Witzigerweise wohnten wir so nah am Vereinsgelände, dass ich im Garten jedes Tor mitbekommen habe. Wenn sonntags kein Spiel war, habe ich das so gar vermisst.

Was war Ihr schönstes Erlebnis mit Königsblau?
Beim Pokalsieg 2011 hatte ich VIP-Tickets, durfte nach dem Sieg mit zum offiziellen Bankett und mit der Mannschaft feiern. Das war ein außergewöhnlicher Einblick, allerdings bin ich am liebsten im Stadion, weil die Menschen dort so loslassen können wie an fast keinem anderen Ort. Sie schimpfen, brüllen, jubeln und leben nur im Moment. Das ist genau das, was ich an meinen Stuntjobs so geliebt habe. Du blendest alles andere aus und konzentrierst dich nur auf diese eine Sache.

Wie wird man Stuntfrau?
Ich habe als kleines Mädchen davon geträumt, Action-Heldin zu werden. Später war ich oft im Movie Park in Bottrop und habe die Stuntshow bewundert. Ich spürte schnell: Das will ich auch machen. Also habe ich Workshops besucht und viel trainiert, mich mit 18 beworben und dann drei Jahre lang dort als Stuntfrau gearbeitet. Mit dem Modeln habe ich mich erst beschäftigt, als ProSieben 2010 auf mich zukam, um mich für die Show „Germany’s Next Topmodel“ zu casten.

Miriam Höller

Ein Karriereschub?
Ja, ich hatte plötzlich eine viel größere Bühne und habe TV-Aufmerksamkeit bekommen. Allerdings kam ich aus einer von Männern dominierten Welt, in der ich gelernt habe, wie man sich anzündet oder eine Treppe runterfällt – und plötzlich ging es ums Schminken und Lockendrehen. Das war nichts für mich. Ich habe schon als Kind nie mit Puppen gespielt, sondern Matchbox-Autos ineinander krachen lassen. Also habe ich gesagt: „Wenn ich über den Laufsteg gehe, dann auf meine Art: mit brennenden Flügeln.“ So ist die Marke „Actionmodel“ entstanden, sozusagen mein Alleinstellungsmerkmal.

Wie hat Heidi Klum reagiert?
Sie ist sehr klar in ihren Vorstellungen und wahnsinnig professionell. Sie sucht Mädchen, die sie formen kann. Das ging mit mir nicht, weil ich etwas rebellisch bin und nach drei Jahren Selbstständigkeit ziemlich genau wusste, was ich will. Und mich zu verbiegen, um allen zu gefallen, gehört nicht dazu. Allein das Überschminken meiner vielen kleinen Narben und Verbrennungen nervte mich, weil das alles zu mir gehört. Der übertriebene Schönheitswahn und der Irrglaube, perfekt sein zu müssen, sind gefährlich.

Vor welchem Stunt hatten Sie am meisten Angst?
Wenn ich Angst habe, mache ich nichts. Ich bin keine Draufgängerin. Respekt habe ich dagegen immer, weil jede Situation gefährlich werden kann, selbst wenn man sie bereits 20-mal erlebt hat. Meine Lieblingsaktion sind noch immer die Feuerflügel bei einem Auftritt in Wien 2011, weil sie alles über mich aussagen: Ästhetik und Kontrolle kombiniert mit dieser ungezügelten, spektakulären Gefahr. Zudem habe ich die Flügel zusammen mit meinem Onkel, der einen Schlossereibetrieb führt, selbst gebaut. Die sind 25 Kilogramm schwer. Als ich sie erstmals aufgesetzt habe, bin ich hintenrübergekippt (lacht).

Jahrelang ging es bei Ihnen nur bergauf. 2016 mussten Sie allerdings schwere Schicksalsschläge verkraften: Ihr Lebenspartner war Pilot und ist bei einem Hubschrauberabsturz gestorben. Wenige Wochen zuvor hatten Sie sich bei einem Actionshooting beide Füße kompliziert gebrochen.
Mein Leben verlief 29 Jahre lang wie ein Märchen. Ich war auf dem Höhepunkt meiner Karriere, für die ich sehr hart gearbeitet hatte. Dann nahm mir der Unfall meine Gesundheit und damit meine berufliche Grundlage. Ich saß wochenlang im Rollstuhl, die Ärzte konnten mir nicht versprechen, dass ich jemals wieder normal gehen kann. In dieser Zeit war mein Lebenspartner Hannes mein größter Rückhalt. Ich wusste: Mit ihm stehe ich das durch. Als er mit dem Helikopter abstürzte, habe ich das Vertrauen ins Leben verloren. In mir war nur noch Leere, völlige Fassungslosigkeit.

Wenn alles um dich herum zusammenbricht, hilft nur die Rückkehr zu deinen Wurzeln.

Miriam Höller

Wie haben Sie neuen Mut gefasst?
Wenn alles um dich herum zusammenbricht, hilft nur die Rückkehr zu deinen Wurzeln. Ich wusste, tief in mir muss noch das kleine, mutige, lebensfrohe Mädchen stecken. Also bin ich zurück ins Haus meiner Eltern ins Kinderzimmer gezogen. Meine Familie hat mich letztlich aus dieser starken Depression gerettet. Geholfen haben die kleinen Dinge: Meine Mutter hat zwei Wochen am Stück mein Lieblingsessen gekocht: Spaghetti mit Gemüse; mein Bruder ist mit mir Motorrad gefahren; mein Vater hat mich im Rollstuhl durch den Wald geschoben und ist später mit mir auf Schalke gegangen.

Sie haben sich fast ein Jahr lang komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Wie wichtig war diese Pause?
Ich brauchte Ruhe und viel Zeit für mich, um herauszufinden, wie und – offen gesagt – ob ich weiterleben möchte. Der Wendepunkt war das Gespräch mit einem Arzt kurz vor einer weiteren Fuß-OP. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir selbst völlig egal. Ich fragte ihn, ob er mir für einen kurzen Moment einen Herzstillstand zufügen könnte, weil ich die Hoffnung hatte, in diesen Sekunden Hannes sehen zu können. Der Arzt antwortete, dass er bestimmt traurig und enttäuscht wäre, wenn er mich so sehen würde. Das war mein Ansporn. Ich habe die ersten Schritte für Hannes gemacht und bin überzeugt, dass er mir zugeschaut hat, wie ich mich Stück für Stück ins Leben zurückgekämpft habe.

Wie geht es Ihnen heute?
Gut. Ich kann nicht mehr als Stuntfrau arbeiten, leite aber meine eigene Stuntfirma und arbeite seit einem Jahr hauptsächlich als Rednerin. Daran hatte ich früher nie gedacht, aber ich musste mich notgedrungen mit vielen elementaren Fragen des Lebens beschäftigen und erzähle den Menschen davon. Alle Antworten habe ich natürlich nicht, aber vielen tut es gut, wenn sie sehen, dass man auch nach solchen Schicksalsschlägen wieder lachen kann. Mittlerweile habe ich auch einen neuen Partner, der in Kanada lebt und einen Forstwirtschaftsbetrieb am Rande der Zivilisation leitet. Wir besuchen uns so oft wie möglich. Der Sommer in Kanada ist traumhaft, im Winter herrschen allerdings acht Monate lang Temperaturen von bis zu minus 40 Grad. Das ist selbst mir zu hart (lacht).

Wie hat die schwere Zeit Sie verändert?
Die jugendliche Naivität ist auf der Strecke geblieben, ich bin erwachsener geworden. Der größte Unterschied ist, dass ich mittlerweile sehr konsequent mit der Frage umgehe, in welche Menschen und Projekte ich wertvolle Zeit investiere. Wenn ich morgen gehen sollte, möchte ich, dass die Leute sagen: „Die Miriam hat drei Leben gelebt. Wenn sie sich zurückkämpfen kann, schaffe ich das auch.“

Schalker Kreisel

Der Text ist ursprünglich im Schalker Kreisel #5 der aktuellen Saison erschienen.

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