Schalker Segen

Die Wege des Herrn sind unergründlich. Einer davon führt Schwester Ellen, Schwester Verena und Schwester Witburga ins königsblaue Wohnzimmer. Bei einem Besuch der Kapelle erhalten die Franziskanerinnen aus dem Kloster Bonlanden im Allgäu von Pfarrer Ernst-Martin Barth Einblick in die heiligen Hallen. Ein Heimspiel: Zwei der drei Damen sind Schalkerinnen.

Die Franziskanerinnen auf Schalke

Nicht nur für Pfarrer Barth eine ungewöhnliche Pilgerreise, auch für die Ordensfrauen. Zwar leben sie als Franziskanerinnen nicht streng in Klausur, pflegen durch Besuche in Schulen und karitativen Einrichtungen Kontakt zum Leben abseits des Klosters. Doch eine Dauerkarte beim FC Schalke 04 gehört nicht dazu.

Dennoch, oder vielleicht deshalb, sind sie aufgeregt. Als Schwester Ellen die Treppen zur Kapelle hinabsteigt, beweist sie gleich, dass sie vom Fach ist und zeigt auf ein Bild ihres Schalker Idols Klaus Fischer. „Mister Fallrückzieher“ ist mitverantwortlich, dass die gebürtige Niedersächsin bereits als Kind zum S04-Fan wird. Lange bevor sie sich entscheiden wird, nach den Regeln Gottes zu spielen.

27 Jahre alt ist sie da, Beschäftigte bei einem Telekommunikationsunternehmen und mitten im Leben stehend. Aber sie merkt, dass ihr eine Inspiration fehlt. Eine Großtante, die im Kloster lebt, zeigt ihr den Weg. Es ist nicht der Platz in der Kurve, sondern der in der Kirche, der sie fesselt. Das tägliche Gebet, die Rituale. Sie fühlt sofort, dass sie fündig geworden ist. Seitdem lebt die 51-Jährige zusammen mit 20 Schwestern im Kloster Bonlanden.

Schließlich ist die Liebe zum S04 noch älter als die zu Gott.

Schwester Ellen

Neben dem eigentlichen Kloster bietet Bonlanden ein Café, einen großen Garten, angelegt nach den Idealen des Namensgebers, des heiligen Franz von Assisi, sowie ein Haus mit Seminarräumen und Übernachtungsmöglichkeiten. Das ist ihre Welt. „Wir bieten Rückzugsräume für Menschen, in denen sie sich vom Alltag erholen können“, erklärt Schwester Ellen. Franziskus sei ein Naturfreund gewesen. Er habe den Sonnengesang gemacht und liebe das Wasser. „Und entsprechend haben wir unseren Garten auch gestaltet. Wir haben Verantwortung für die Erde, sie trägt uns. So wollen wir die Menschen nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Natur zum Nachdenken bringen.“ Auch missionieren? „Ja, aber wir zwingen niemanden. Es ist schön, so nah mit Gott in Verbindung zu sein. Sie können – wenn sie wollen – mit uns zum Gebet gehen. Aber sie müssen es nicht.“

Rein formell warte eine Testphase von beiden Seiten vor der endgültigen Aufnahme im Kloster. Konkret: Kandidatur, Postulat, Noviziat, Juniorat und die ewige Profess. Im Schnitt dauert das acht Jahre.

Auch für Königsblau will Schwester Ellen in der bayerischen Diaspora Menschen begeistern. Oder zur Besinnung bringen. Bei Schwester Witburga hat sie Erfolg. „Ellen hat mich für Schalke 04 begeistert“, sagt die 80-Jährige und nickt. „Ich hatte mich vorher nie für Fußball interessiert. Aber sie hat mir vom Verein erzählt, und dann habe ich mich auch dafür geöffnet.“

Die Franziskanerinnen auf Schalke

Seitdem ist der S04 im Kloster ständiges Gesprächsthema. Zusammen waren die beiden vor einigen Jahren schon mal bei einem Bundesliga-Spiel der Knappen in der VELTINS-Arena und konnten viele Parallelen feststellen. „Es war bei einem Heimsieg gegen Borussia Mönchengladbach“, erinnert sich Schwester Ellen. „Die Musik, das Singen und die Fans – das war sehr berührend.“ Diese Begeisterung, die totale Hingabe für seinen Verein, all dies habe durchaus religiöse Züge. Auch wenn man die finanziellen Auswüchse des modernen Fußballs durchaus kritisch hinterfragen müsse.

In ihrem spartanisch eingerichteten Zimmer hat die Franziskanerin neben einem Kreuz auch einen Schal ihres Vereins hängen. „Einmal Schalker, immer Schalker“, betont die Ordensfrau, die zur Leitung des Klosters gehört. „Schließlich ist die Liebe zum S04 noch älter als die zu Gott.“

Aber wie passt die Leidenschaft für einen Fußballclub überhaupt in die religiösen Abläufe im Leben einer Nonne? Dazu muss man wissen, wie so ein Tag im Kloster aussieht. „Wir treffen uns nach dem Aufstehen zum Morgenlob in der Kapelle“, erzählt Schwester Verena. „Dann frühstücken wir gemeinsam. Später geht jede ihrer Arbeit nach.“ Die entspricht meist der Vorausbildung oder Neigung. Die einen gehen in die Küche, die anderen ins Büro oder in den Garten. „Um 12 Uhr treffen wir uns wieder zum Mittagsgebet. Dann: Mittagessen, danach erneut Arbeit. Und um 18 Uhr kommen wir noch mal zum Abendlob oder zur Eucharistiefeier zusammen.“ Ein strenger Zeitplan. Nach dem Abendessen folgt Freizeit. Auf jeder Etage steht ein Fernseher. Andere gehen ins Bett und lesen.

Am Samstag höre ich die Bundesliga im Radio auf Bayern 1 und fiebere bei den Spielen mit.

Schwester Ellen

Bei Schwester Ellen braucht an Spieltagen niemand anzuklopfen. Dann ist im Namen des Herrn Schalke-Zeit. „Am Samstag höre ich die Bundesliga im Radio auf Bayern 1 und fiebere bei den Spielen mit“, bestätigt sie. Allerdings: Die Sportschau könne sie leider nicht verfolgen. „Nein, das geht nicht. Sie überschneidet sich mit unseren Gebetszeiten. Darum ist stets das Radio mein Mittel, um zu erfahren, wie es steht.“ Auch Abendspiele sind problematisch. Nach dem Gebet greift sie deshalb zum Smartphone. „Dann kann ich nur noch im Internet nachlesen, wie es gelaufen ist.“

Darf sie auch für Schalke beten? „Klar, warum nicht?“, fragt sie verschmitzt zurück. „Für ein faires Spiel, aber natürlich auch für einen Sieg.“ Frotzeln ist ebenso erlaubt, schließlich leben im Kloster auch Schwestern, denen die Eingebung so nahe an München und Stuttgart den falschen Club offenbart hat. „Aber keine trägt den Verein ihres Herzens so nach außen wie Schwester Ellen“, versichert Schwester Witburga.

Und wie hat ihnen die Arena-Kapelle gefallen? Sie sei nicht nur sehr schön gemacht, sondern auch ein ganz starkes Zeichen so inmitten des Stadions. „Beim Hineingehen öffnet sich das Kreuz und öffnet den Blick auf das Wort Gottes. Das ist ein ganz tolles Symbol“, meint Schwester Verena. Die Kapelle sei nicht nur Rückzugsort in der hektischen Betriebsamkeit eines Spiels, sondern Ausdruck dessen, dass Gott immer bei uns ist. Auch beim Sport.

Dann stellen sich die drei Franziskanerinnen im Spielertunnel auf – Gruppenfoto. Schwester Ellen berührt beinahe andächtig das S04-Emblem mit dem Leitbild „Wir leben dich“. „So ist es“, sagt sie, „jeder auf seine Art.“ Die Wege des Herrn sind eben unergründlich. Und so Gott will, führt er sie irgendwann wieder ins Schalker Wohnzimmer.

Schalker Kreisel

Der Text ist ursprünglich im Schalker Kreisel #6 der aktuellen Saison erschienen.

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