DEAF Schalke Fanclub: Stille Begeisterung

„Blau und Weiß, wie lieb ich dich“, intonieren die sieben Mitglieder des DEAF Schalke Fanclubs inbrünstig an diesem klirrend kalten Morgen vor der Südkurve der VELTINS-Arena. Ihre Gesten sind raumgreifend, sie performen die Vereinshymne begeistert. Doch bis auf die blecherne Melodie vom Handy bleibt es still, denn „deaf“ heißt aus dem Englischen übersetzt: taub.

DEAF Schalke Fanclub

Das Handy spielt allein für Gebärdendolmetscherin Melanie Bloemkolk. Sie dirigiert den ungewöhnlichen Chor, gibt quasi den Takt vor, den niemand sonst hören kann – aber der Text sitzt. Ehrensache. Der Anlass für den Auftritt ist die CAFE-Projektwoche, die der S04 mit zahlreichen Aktionen unterstützt, um Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung weiter voranzutreiben.

Doch was bleibt vom Stadionerlebnis, wenn der Ton fehlt? „Es ist die Begeisterung für das Fußballspiel“, erklärt Olaf Plettenberg selbstverständlich. Stimmt, da war ja was. Ein wesentlicher Aspekt, der im Hype rund um den Spieltag schnell vergessen werden kann: die Liebe zum Spiel. Das ist der Auftakt für eine lebhafte Diskussion, in der Bloemkolk nacheinander jedem ihre Stimme leiht. „Wir möchten natürlich wissen, was im Stadion vor sich geht, können oft den Kontext nicht verstehen, weil sich die Reaktion nicht immer deuten lässt oder wir nicht hören, welches Lied gerade gespielt wird“, erklärt Valerie Krischke die alltäglichen Hindernisse, die gehörlose Menschen vor Probleme stellen, von denen andere wenig wissen können.

DEAF Schalke Fanclub

Auf einem solchen Erlebnis, das man als Schalker getrost traumatisch nennen darf, beruht die Gründung des Fanclubs, auch wenn diese offiziell erst acht Jahre später erfolgte. Plettenberg besuchte an jenem 19. Mai 2001 mit seinem Bruder und dessen Freunden das letzte Spiel im Parkstadion, der Rest ist Geschichte. „Wir waren völlig begeistert, nichts hielt uns mehr auf den Sitzen, Menschen liefen bereits auf den Rasen. Doch dann verbreitete sich unter den Fans die Nachricht, dass das Spiel in Hamburg immer noch läuft, wie ich erst später erfuhr. Ich nahm nur wahr, wie mit einem Mal die Stimmung kippte, sich die Mimik veränderte und Leute anfingen zu weinen. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was passiert.“ Die Ratlosigkeit ist ihm selbst in der Rückschau anzumerken.

Beim Stichwort Barrierefreiheit denken die meisten an Treppen und andere bauliche Hindernisse, die Menschen mit Gehbehinderung beeinträchtigen, denn oft fehlt der Sinn dafür, was es bedeutet, wenn ein Sinn fehlt. Doch Barrieren gibt es viele zu überwinden, das weiß auch S04-Behindertenfanbeauftragter Sven Graner, weshalb er mit den Betroffenen im engen Austausch ist: „Unsere gehörlosen Fans möchten zum Beispiel einen eigenen Block haben, darum kümmern wir uns aktuell.“

Sven Graner

Dieser Wunsch harmoniert mit den Inklusionsbestrebungen. „Wir möchten den Kontakt zu anderen Fans. Durch entsprechende Gesten kann man schon viel zum Ausdruck bringen“, bekräftigt Ralf Gördemann und möchte Hörende dazu ermutigen, noch offensiver im Umgang zu sein. Doch Gehörlose „sprechen“ eine andere Sprache, für Teilhabe ist ein umfassendes Verständnis nötig, und das ermöglicht ihnen Melanie Bloemkolk. Sie wuchs mit einer gehörlosen Mutter auf und kennt die alltäglichen Probleme aus eigener Erfahrung, zudem ist sie eine Königsblaue, deshalb übernimmt sie die Aufgabe am Spieltag ehrenamtlich. Die Idealvorstellung des DEAF-Fanclubs ist es, dass sie für alle gut sichtbar im Block übersetzt. „Nicht nur für uns: Wir fänden es toll, wenn auch die gehörlosen Fans des Gastvereins bei uns sitzen könnten, um so dem Geschehen besser folgen zu können“, konkretisiert Klaus-Peter Matthies die Vorstellungen. „Und ein eigener Kiosk wäre ebenfalls super“, ergänzt Birgit Loschelder. Sie selbst ist zwar nicht komplett taub und kann deshalb auch einigermaßen verständlich sprechen, für andere aber bedeutet die Bestellung am Kiosk eine große Hürde. „Es würde schon helfen, wenn wir auf die Produkte zeigen könnten und die Mitarbeiter wüssten, dass wir gehörlos sind, um die Verständigung zu erleichtern.“ Auch daran arbeiten Graner und seine Kollegen. „In Dortmund gibt es das alles schon“, erhöht Loschelder mit einem Augenzwinkern noch einmal den Druck, Kommunikation gelingt eben auf vielfältigen Wegen.*

*Dieser Artikel erschien zuerst im März 2021 im Schalker Kreisel und wurde nun zum Tag der Gehörlosen am 25. September erneut publiziert. Seit Beginn der Saison 2021/2022 stellt der FC Schalke 04 neben dem Block für Menschen mit Behinderung und der Blindenreportage auch einen Gehörlosenblock zur Verfügung. Dort werden Stadiondurchsagen und wichtige Informationen von Gebärdendolmetschern den Fans vermittelt. Seit dem Heimspiel gegen Union Berlin Ende August sind zudem die jeweils äußeren beiden Kassen der Kioske in den Blöcken U und X in der VELTINS-Arena mit visuellen Unterstützungen für gehörlose und hörgeschädigte Menschen ausgestattet.

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