Onur Cinel: Nie war die Ausbildung wichtiger als in dieser Saison

Knapp ein Jahrzehnt ist Onur Cinel bereits auf Schalke tätig. Nun feilt der 36-jährige Gelsenkirchener als Chef-Trainer der U17 an den königsblauen Talenten – und kann dabei auf lehrreiche Erfahrungen zurückgreifen. Im Interview mit dem Schalker Kreisel spricht der U17-Coach über die Arbeit mit den Nachwuchskickern, seinen Werdegang und seine Idealvorstellung vom Fußball.

Onur, du hast in den vergangenen Jahren bereits diverse Trainerposten auf Schalke bekleidet. Wie kam für dich der Ball ins Rollen?
Meine Anfänge liegen über 30 Jahre zurück: Vor der Kirche in Gelsenkirchen-Beckhausen hatte ich mit drei Jahren das erste Mal einen Ball am Fuß. Die Fläche zwischen zwei riesigen Blumentöpfen fungierte als Tor, in der Mitte der Fläche gab es eine kleine Insel, um die man herumdribbeln musste. Je nachdem, wie viele Kinder sich dort gerade tummelten, spielten wir Zwei-gegen-Zwei oder größere Duelle.

Und vom Kirchenplatz aus ging es dann in den Vereinssport?
Mit sechs hat mich mein Vater beim SuS Beckhausen 05 angemeldet, anschließend war ich auch bei der STV Horst-Emscher, dem FC Gladbeck und dem VfB Hüls aktiv. Bei den Senioren zählten Eintracht Gelsenkirchen und der TuS Heven zu meinen Clubs.

Deine Position?
Als einer der Schnellsten in meinen Mannschaften habe ich immer die Außenbahnen beackert. Die Spielintelligenz im Zentrum war damals noch nicht gegeben, da waren klassische Abräumer gefragt. Dafür war ich zu klein und zu flink. Erst bei den Senioren wurde ich zum Sechser umfunktioniert, weil sich die Aufgaben vor der modernen Viererkette verändert hatten.

Deine aktive Zeit endete in deinen Zwanzigern, dafür begann deine Trainerkarriere im selben Zeitraum und damit recht früh. Was hat dich daran gereizt?
Um ehrlich zu sein, hat mich mein Dozent Peter Lange erst in diese Richtung geschubst. Ich habe Sportwissenschaft studiert und mich in den Wahlkursen selbstverständlich für Fußball entschieden. Als Lehrprobe musste ich eine Einheit leiten. Und anschließend hat Peter mich gefragt, was ich denn in Zukunft machen möchte. Zu diesem Zeitpunkt lag mein Fokus klar auf dem Sportmanagement, doch er unterbrach mich in diesem Gedanken und sagte: „Papperlapapp, du wirst Fußballtrainer!“

Die Initialzündung?
So kann man es wohl nennen, ich traute mich nicht, ihm zu widersprechen. (lacht) In der Folge habe ich in Fußballschulen gearbeitet und wirklich Gefallen daran gefunden. So bin ich zum Nachwuchs bei Rot-Weiss Essen gekommen, konnte anschließend mit dem TuS Heven in die Oberliga aufsteigen – und bin auf Schalke gelandet

Wie kam es dazu?
Das Gefühl, als Trainer mit jungen 26 Jahren in die Oberliga aufzusteigen, war unbeschreiblich. Aber bereits da hatte ich das Gefühl, der Tätigkeit noch intensiver nachgehen zu wollen. Den Bachelor hatte ich in der Tasche, meinen Master in Sportpsychologie per Fernstudium gebastelt. Schließlich kam der nächste Dozent ins Spiel: Adam Frytz, der mit Sven Hübscher bei Sports analytics arbeitete und Analysen für Bundesliga-Clubs durchführte.

Hübscher war zu diesem Zeitpunkt in der Knappenschmiede tätig …
… und sollte die U16 übernehmen. Auf der Suche nach einem Co-Trainer ist er mit Adam ins Gespräch gekommen. „Ich weiß nicht, ob der Onur das nach dem Aufstieg macht, aber er ist ein Gelsenkirchener Junge und Schalker“, soll er Sven entgegnet haben. Also haben wir uns unterhalten, auch das Treffen mit dem damaligen Nachwuchsleiter Oliver Ruhnert verlief positiv. Und so bin ich als Co-Trainer der U16 beim S04 gestartet.

Es ist ein Privileg, für seinen Verein arbeiten zu dürfen; also dort, wo man sich heimisch fühlt. Und das schon seit fast zehn Jahren.

Onur Cinel

Was hat dir dieser Schritt bedeutet?
Es ist ein Privileg, für seinen Verein arbeiten zu dürfen; also dort, wo man sich heimisch fühlt. Und das schon seit fast zehn Jahren. Noch mehr als ich hat sich aber mein Vater gefreut, ein Königsblauer durch und durch. Er hat mich als Kind bereits auf den Schultern von Beckhausen ins Parkstadion getragen. (lacht)

Wie hast du die Arbeit in der Knappenschmiede 2012 kennengelernt?
Ich kam von einem Amateurclub, hier war es sehr viel professioneller. Trotzdem fühlte sich vieles sehr familiär an. Damals war alles aber auch noch kleiner als heute.

Was hat sich in den Jahren verändert?
Zu Beginn hatten wir den Platz der Profis, zwei Naturrasenplätze und einen Kunstrasen. Jetzt ist alles deutlich größer dimensioniert, und auch in der Arbeit gibt es riesige Unterschiede. Was heute beispielsweise in der Analyse und Diagnostik möglich ist: kein Vergleich zu 2012.

2018 hast du den Bereich Methodik und Spielkonzeption in der Knappenschmiede übernommen. Was konntest du dort umsetzen?
Ich war zwar federführend, aber es war keineswegs eine One-Man-Show. In der ersten Phase haben wir mit Peter Knäbel, Mathias Schober, Sam Farokhi und Marcel Pomplun am Grundlagen- und Aufbaubereich, also den jüngeren Jahrgängen gearbeitet, weil wir dort Verbesserungspotenzial ausgemacht hatten. Ich habe mich mit allen Trainern unterhalten, wir haben eine gemeinsame Trainingsstruktur erarbeitet und mit der Spielanalyseabteilung an Prinzipien für die Knappenschmiede gewerkelt.

Später bist du zum Co-Trainer der U19 unter Norbert Elgert aufgestiegen. Was konntest du von ihm lernen?
Zunächst einmal habe ich neben wertvollen Erfahrungen auch einen Mentor fürs Leben dazugewonnen. Sportlich hat er mir gezeigt, wie ganzheitlich man die Arbeit auf dem Fußballplatz betrachten muss. Das betrifft Bereiche wie Taktik, Fitness, Athletik und Führung. Jemanden mit seiner Führungsstärke habe ich noch nie gesehen. Und es ist unfassbar inspirierend, wie ein Trainer nach so vielen Jahren noch immer jede Einheit, jede einzelne Übung akribisch vorbereitet, selbst wenn er sie zum tausendsten Mal durchführt. Er ist noch immer motiviert wie am ersten Tag und bildet sich ständig weiter.

Auch international konntest du durch diverse Hospitationen in Barcelona, in London bei Chelsea sowie in Manchester und Amsterdam Eindrücke sammeln.
Und einer davon ist, dass wir uns in der Nachwuchsarbeit nicht vor den Topclubs dieser Welt verstecken müssen. Besonders haften geblieben sind aber die fünf Wochen bei Ajax Amsterdam: beeindruckend, wie ein Verein eine klare Philosophie von der U9 bis zu den Profis durchzieht und damit Spieler für den ganz eigenen Stil ausbildet. Diesem ordnen sich alle unter, das Training ist hochkomplex. Auch die Erfahrungen bei Manchester City waren besonders. Pep Guardiola lässt keine Einheit mal eben durchlaufen, er arbeitet jede Sekunde detailversessen an der Verbesserung. Das hat mich noch einmal darin bestärkt, dass Erfolg kein Zufall ist, es aber harte und intelligente Arbeit dafür benötigt.

Wie sehr haben diese Hospitationen deine Idee vom Spiel beeinflusst?
Die Topclubs haben früh erkannt, dass das Spiel immer schneller und intensiver wird. Damit ist nicht nur schnelles Laufen gemeint, sondern auch Handlungsschnelligkeit und Wahrnehmung. Man muss eine Vielzahl an Entscheidungen provozieren und das im täglichen Training umsetzen, denn es wird sich noch stärker in diese Richtung entwickeln.

Ich stelle mir immer vor, dass zwei Mannschaften in denselben Trikots spielen, der Zuschauer dennoch klar erkennt, welche von ihnen der FC Schalke 04 ist.

Onur Cinel

Grob umrissen: Wie sieht deine Idealvorstellung von Fußball aus?
Um das genau auszuführen, müssten wir noch ein paar Stunden hier sitzen. (lacht) Was mir grundsätzlich vorschwebt: ein Team, das intensiv, mutig und initiativ spielt. Ich stelle mir immer vor, dass zwei Mannschaften in denselben Trikots spielen, der Zuschauer dennoch klar erkennt, welche von ihnen der FC Schalke 04 ist. Weil er sieht, dass dieses Team mit seiner unverwechselbaren Intensität an die Sache herangeht, unabhängig von der Farbe des Trikots.

Lässt sich das so einfach vom Reißbrett auf den Schalker Platz übertragen?
Es ließe sich durchaus umsetzen. Als U17-Chef-Trainer ist es aber nicht meine vorrangige Aufgabe, eine Spielidee zu implementieren, sondern die Spieler ganzheitlich auf die U19 vorzubereiten – also technisch, taktisch, athletisch und auch in ihrer Persönlichkeit.

Dem voraus ging ein Jahr, in dem du als Coach der U23 mit dem Wiederaufstieg aus der Oberliga in die Regionalliga betraut warst, der am Ende nicht gelang. Wie sehr hat dich diese Zeit geprägt?
Im Rückspiegel kann ich heute erkennen, dass ich ein bisschen zu verbissen war. Durch die späte Planungssicherheit konnten wir erst im Monat vor Saisonstart den Kader zusammenstellen, unsere Wunschspieler hatten da längst andere Vereine gefunden. In der ersten Phase der Spielzeit wollte ich dann zu früh zu viel, was im Nachhinein eine wichtige und lehrreiche Erfahrung im Bereich der Führung für mich gewesen ist. Aber sportlich konnte man eine klare Entwicklung erkennen: Zehn der letzten zwölf Spiele haben wir ohne Gegentor gewonnen.

Vergangene Saison bist du zeitweise als Co-Trainer bei den Profis gewesen. Was nimmst du aus dieser in jeder Hinsicht denkwürdigen Phase mit?
Diese Zeit ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen, der Abstieg bedeutet eine Zäsur für Verein, Fans und Mitarbeiter. Zudem war ich von Vereinsseite unterstützend dabei, habe mit Manuel Baum und Christian Gross unterschiedliche Trainertypen kennengelernt und konnte aus dieser Perspektive viel beobachten und vergleichen. Interessant war es, meine früheren Schützlinge im Vergleich zu gestandenen Bundesliga-Profis zu sehen. Etwa einen Nassim Boujellab und Suat Serdar, zu diesem Zeitpunkt im Dunstkreis der deutschen Nationalmannschaft. Für mich war das eine ungemein wertvolle Zeit, nur hätte ich sie unter anderen Umständen mehr genießen können.

Nun greifst du als U17-Chef-Trainer mit deiner Mannschaft an. Wie sehen deine Pläne aus?
Wie vorhin angemerkt, ist die Vorbereitung auf die U19 meine wichtigste Aufgabe. Vor dem Hintergrund der Pandemie wird diese Arbeit allerdings eine besondere. Die Vorbereitung lief anders als sonst, die Spieler sind mental und körperlich in einem anderen Zustand. Es macht einen großen Unterschied, ob ich als Fußballer zu Hause alleine meine „Hausaufgaben“ erledige oder mit der Mannschaft arbeite. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Ausbildung noch nie so wichtig war, wie in dieser Saison.

Deinen Fußballlehrer hast du 2020 absolviert. Wohin kann der Weg in Zukunft führen?
Aus meinen bisherigen Schritten habe ich gelernt, dass man so was nicht zu einhundert Prozent planen und vorbereiten kann. Man muss immer flexibel reagieren können. Ich fühle mich und meine Arbeit in der Knappenschmiede absolut wertgeschätzt und sie macht mir viel Spaß. Ich bin jedoch noch jung und habe mindestens 20 weitere Trainerjahre vor mir. (lacht) Ich würde gerne irgendwann wieder weitere Einblicke im Profibereich sammeln.

Wie siehst du den S04 im Nachwuchsbereich für die kommenden Jahre aufgestellt?
In Relation betrachtet gibt es um uns herum Vereine, die noch mehr investiert haben und durch das Geld einen Schritt weiter sind. Wir müssen also noch akribischer, intelligenter und härter arbeiten als die Konkurrenz (.) und manches mit unseren Werten ausgleichen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Momentan sind wir das, aber es ist ein dynamischer Prozess, in dem wir diese Bereitschaft immer wieder aufs Neue unter Beweis stellen müssen. Dieses Level zu halten, ist die wichtigste Aufgabe in Zukunft.

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