Alles für Schalke! Lebendige Vereinsgeschichte in der Synagoge

Die Schalker Julie, Sally, Paul, Friedrich Moritz und Ernst bekamen ein Gesicht, denn Königsblaue erzählten ihre hörenswerte Geschichte – und viele Königsblaue kamen und hörten zu. Der Abend „Die Jüdische Gemeinde und Schalke 04 – eine Spurensuche“, maßgeblich organisiert von der Schalker Fan-Initiative, fand am Mittwochabend (19.4.) unter großem Beifall in der Gelsenkirchener Synagoge statt.

Alles für Schalke! Lebendige Vereinsgeschichte in der Synagoge

S04-Vorständin Christina Rühl-Hamers war ebenso gekommen wie Gelsenkirchens Stadtkämmerer Luidger Wolterhoff und weitere 70 Zuhörer. Einen Erinnerungsort hat der Club jüdischen Schalkern bereits 2011 an der Tausend-Freunde-Mauer geschaffen. Darunter der Jugendspieler Ernst Alexander, Vorstandsmitglied Paul Eichengrün, Arzt und Geschäftsführer Friedrich Moritz Levisohn, die Kaufhaus-Inhaber Julie Lichtmann und Sally Meyer. Drei von ihnen wurden im Holocaust ermordet, Eichengrün konnte in letzter Sekunde aus Deutschland fliehen und sein Leben retten.

An diesem Abend wird ihre Geschichte noch einmal lebendig. Dr. Christine Walther, Leiterin Vereinsangelegenheiten, berichtet eindrücklich, wie sie nicht lockerlässt, ein Foto von Jugendspieler Ernst Alexander zu finden. Jedes Andenken an ihn scheint verschüttet und vernichtet, doch die Hartnäckigkeit zahlt sich aus: Im Nationalarchiv der Niederlande in Den Haag wird der Verein fündig und findet zwei Portraits. Seitdem weiß der an diesem Abend auch anwesende Neffe Alfred Brechner, wie sein Onkel Ernst überhaupt ausgesehen hat.

Alles für Schalke! Lebendige Vereinsgeschichte in der Synagoge

In die Niederlande ist Alexander 1939 geflüchtet und konnte dort sogar ein Jahr wieder Fußball spielen. Als er im Sommer 1939 vom Rotterdamer Erstligisten Xerxes zu Achilles geht, meldet eine Zeitung, „der bekannte Schalke-Spieler“ Alexander habe einen Vereinswechsel vorgenommen.

Dr. Susanne Franke von der Schalker Fan-Initiative lässt bei ihren Erzählungen über Julie Lichtmann und Sally Meyer den Schalker Markt wieder lebendig werden. Das große Viereck mit einem Marktplatz als Mittelpunkt, an dem sich Gaststätte an Gaststätte reiht, in denen Schalker Siege gefeiert, Rückschläge begossen werden, in deren Nähe sich der Tabakwarenladen von Ernst Kuzorra und auch das Textilgeschäft „Julius Rode“ befindet, das nun von Lichtmann und Meyer geführt wird.

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Es ist ein sehr gut gehendes Geschäft, die Einnahmen weisen dies aus – bis 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kommen und nach und nach den Boykott jüdischer Einrichtungen und Geschäfte erreichen, oft erzwingen. Als ihnen 1938 Schalkes Vereinswirtin Henriette Thiemeyer den Pachtvertrag kündigt, sind sie gezwungen, das Geschäft – unter Preis – zu verkaufen. An Schalkes Meisterspieler Fritz Szepan.

Auch das bewegte Leben von Friedrich Moritz Levisohn – vorgestellt von Susanne Franke – faszinierte die Gäste gleichermaßen stark. Der Arzt, Geschäftsführer und Teilhaber der Firma Seppelfricke wird in seiner Heimatstadt Schritt für Schritt entrechtet. 1933 wird er zum ersten Mal verhaftet, in der Pogromnacht 1938 kommt er erneut ins Polizeigefängnis.

Nach der Freilassung flieht Levisohn in die Niederlande. Als Frederik Maria van Rijn arbeitet er in einer Widerstandsgruppe. Dort entdeckt und im KZ Amersfoort gefoltert, gelingt ihm später abermals die Flucht. Ab 1944 dient er als Arzt den britischen Landungstruppen. Für all dies bekommt er nach dem Krieg von Prinz Bernhard der Niederlande einen Orden. Levisohn kehrt in seine Heimat zurück und wird unter seinem neuen Namen Dr. Fritz Lenig am 25. Mai 1946 sogar zum Vorsitzenden des FC Schalke 04 gewählt.

Thomas Spiegel aus dem Team Tradition des FC Schalke 04 erinnert an Paul Eichengrün als denjenigen, der den Slogan „Alles für Schalke!“ geprägt hat. Mit diesen Worten nimmt er am 23. Juli 1932 seine Wahl zum 2. Vorsitzenden an. Sie fallen auch, als er am 5. April 1933 zurücktritt, weil er weiß, dass Juden in Sportvereinen nicht mehr erwünscht sind.

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Die „Gelsenkirchener Zeitung“ berichtet darüber in ihrer Ausgabe am 7. April 1933: „Dr. Eichengrün begründete dann noch einmal seinen Austritt. Er habe geglaubt, im Interesse des Vereins gehandelt zu haben, wenn er sein Amt schweren Herzens niederlege. Er sei aber bereit, dem Verein auch weiterhin als Mitglied mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, und gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Sturm, der das Schiff Schalke 04 nun schon so lange Zeit hin und her geschleudert habe, bald einer ruhigeren Brise Platz mache. Er ermahnt die Versammlung, auch weiterhin nach der Devise zu handeln: alles für Schalke 04!“

Julie Lichtmann, Sally Meyer, Ernst Alexander, Friedrich Moritz Levisohn, Paul Eichengrün – Schalker, die unvergessen bleiben müssen. Und die uns erinnern, dass der Kampf gegen Antisemitismus immer zu den Werten des FC Schalke 04 gehören muss. Das unterstrich auch Judith Neuwald-Tasbach, die nach 16 Jahren Amtszeit den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen niederlegt. Sie erhielt für ihr großartiges Engagement seit 2007 zum Abschied einen Riesenbeifall aus dem Auditorium.