Hannover 96: Stimmungsgewirr

Bei Hannover 96 streitet man über vieles, nicht aber über die sportliche Lage. Die ist beim Aufsteiger überraschend gut.

Horst Heldt und Andre Breitenreiter

Wenn Banner Bände sprechen: „Enjoy the Silence“, war beim Heimspiel gegen den 1. FC Köln zu lesen. Keine Hommage an Depeche Mode, sondern Bezug auf den eigenen Stimmungsboykott. So ätzte die aktive Fanszene gegen Martin Kind. Der Vorstandsvorsitzende wünscht, die DFL möge Hannover doch von der 50+1-Regel ausnehmen, damit er die Mehrheitsanteile am Club übernehmen kann. Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt auch die Musik, findet Kind. Zu viel Machtfülle in einer Hand, finden hingegen die organisierten Anhänger. Während sich die Interessengemeinschaft „Pro Verein 1896“ als Sprachrohr des Protests artikuliert, blieben die Ultras derart beharrlich verstummt, dass die Mannschaft zum Hinrundenende via Banner die Schweigespirale zu durchbrechen suchte: „Wir brauchen Euch. Das ganze Stadion!“ Zumal: Es gab ja gute Gründe zu jubeln.

Es geht um den Klassenerhalt. Jeder Punkt zählt.

Horst Heldt

Der Wiederaufsteiger, dessen Rückkehr in Liga eins Kind als alternativlos verordnet hatte, überraschte nach zehn Spieltagen mit einem Champions-League-Platz. Eine Momentaufnahme zwar, aber dass die Niedersachsen Borussia Dortmund mit 4:2 abfertigten und mit nur neun Gegentreffern die zu diesem Zeitpunkt zweitbeste Abwehr nach Bayern München hatten, überraschte dann doch. Bis zum Jahreswechsel folgte der Rutsch nach unten. Doch nachdem die 96er beim Rückrundenauftakt gegen den 1. FSV Mainz 05 einen 0:2-Rückstand in ein 3:2 verwandelt hatten, stand nicht nur der 300. Bundesliga-Sieg der Clubhistorie fest, sondern auch, dass ein Europa-League-Platz nur zwei Zähler entfernt liegt. Für Manager Horst Heldt indes kein Anlass, den Grundton der Bodenhaftung zu verlassen: „Es geht um den Klassenerhalt. Jeder Punkt zählt.“

Ein Satz, der eine andere Bedeutung bekommen hätte, wäre sein Wechsel zum 1. FC Köln zustande gekommen. Heldt wollte wohl gerne, doch Martin Kind wollte nicht, und am Ende wollten auch die Kölner nicht mehr. Zumindest angesichts des Aufschwungs verwundert Heldts Wunsch nach beruflicher Veränderung. Seine Transferpolitik war bislang eine erfolgreiche. Mit Pirmin Schwegler, Julian Korb, Matthias Ostrzolek, Ihlas Bebou und Jonathas haben sich fünf Zugänge als Stammpersonal etabliert. Andre Breitenreiter hatte Heldt da längst auf dem Posten des Chef-Trainers installiert – was angesichts der atmosphärischen Störungen des Duos zu seiner Zeit auf Schalke verwunderte, sich aber an der Leine als richtig erwies. Breitenreiter verpasste der Mannschaft eine stabile Defensivordnung und arbeitete akribisch daran, sie ziemlich flexibel für Systemwechsel zu halten. Zumal Beobachter ihm nachsagen, er beweise Gespür für den Umgang mit seinen Spielern. Auch Horst Heldt bescheinigt dem Coach, dass dessen „besondere Gabe seine Sozialkompetenz“ sei.

Vielleicht sind es auch solche neuen Töne, die Breitenreiter trotz Turbulenzen in der alten Fußballheimat recht besonnen agieren lassen. Lediglich gegen Ende der winterlichen Transferphase wollte der Trainer nicht allzu leisetreten und erinnerte an ein Kind, das wegen Süßigkeitenmangels quengelt. Allein die Leihe des Kroaten Josip Elez schien Breitenreiter nicht genug an Verstärkungen, als er trotzte: „Es ist schon interessant, was die Konkurrenz tut, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, um die Klasse zu halten.“ Im Management kennt man das Prinzip der kreativen Unruhe, die die Diskussionskultur in Unternehmen fördern soll. Sie sollte nur nicht in Streit oder Grabenkämpfe ausarten.

Seite teilen